Lied aus der Vergangenheit
Ich wurde – von Julius – wieder auf die Füße gestellt und abgeklopft. Er schien das Ganze vor allen Dingen komisch zu finden. Er wiederholte ständig meinen Namen. Elias. Elias. Elias . Aber ich war nicht in der Stimmung, mich besänftigen oder zur Zielscheibe seines Gewitzels machen zu lassen. Meine wachsende Wut erzeugte in mir einen immer größeren Druck. Am liebsten wäre ich mit gesenktem Kopf auf ihn losgegangen, hätte mein ganzes Gewicht gegen ihn geworfen und ihn geboxt und getreten. Stattdessen schlug ich seine Hand weg und stolperte, durch Blumenbeete und Sträucher, auf das Haus zu. Mehr als ein Mal knallte ich gegen einen Baum. Ich erinnere mich undeutlich, das Wohnzimmer durchquert zu haben. Die stechenden Lichter. Das wirre Geschwätz. Der Ton des Fernsehers war wieder lauter gedreht worden, und eine Gruppe von Leuten stand vor dem Gerät. Ich ging hinter ihnen vorbei zur Haustür und stieß sie auf.
Jeder auf der Welt weiß, wo er gerade war, als der erste Mensch seinen Fuß auf den Mond setzte. Ich habe immer gesagt, ich sei auf einer Party in Julius und Saffias Haus gewesen. Mit der Zeit erschuf ich mir eine private Version der Wahrheit, die sogar meine Erinnerung an jenen grobkörnigen grauen Film beinhaltete, Armstrongs ersten Satz samt seinem Stocken in der Mitte. Ein kleiner Schritt . Pause. Ein großer Sprung .
Die Wahrheit ist, dass ich keine rechte Vorstellung davon habe, wie oder wann ich meine Wohnung erreichte. Ich kam an vielen Bars vorbei. Ich könnte sogar in einer oder mehreren von ihnen noch etwas getrunken haben. Es ist möglich, dass ich mir den Mondspaziergang ansah oder, wahrscheinlicher, anhörte. Ich könnte die zwei Schauspieler in ihren Kostümen aus Alufolie vor dem Geschäft gesehen, Tonspur und Bild im Geist zu einer Scheinerinnerung kombiniert haben.
Nur so viel weiß ich, dass ich wie auch immer allein nach Hause kam. Ich lag schwitzend im Bett, während die Zimmerdecke über mir kreiste. Einmal kroch ich hinaus und übergab mich in die Toilette. Ich legte mich wieder ins Bett und rollte mich wie ein Embryo zusammen. Irgendwann schlief ich ein.
Ich war eingeschlafen, ohne die Vorhänge zuzuziehen, und jetzt konnte ich den Himmel sehen, schwer von violetten Wolken, die tief über den Hausdächern lasteten. Irgendetwas, ich weiß nicht, was, hatte mich abrupt geweckt. Ich legte mich auf das Kissen zurück, ankerlos treibend in einem Moment vollkommener Leere und zeitweiliger Orientierungslosigkeit, mein Gehirn zweifellos von den Mengen an Whisky, die ich konsumiert hatte, verlangsamt, sodass ich, während ich dalag, einen Moment lang nur ein Gefühl von heiterer Stille erlebte. Ich konnte mich nicht erinnern, welcher Tag es war, er fühlte sich wie ein Sonntag an. Allzu bald wurde mir bewusst, dass mein Mund so trocken war, dass er zugeklebt war. Als ich ihn öffnete, merkte ich sogar selbst, dass mein Atem stank. Darüber hinaus wurde mir bewusst, dass ich auf der Bettdecke lag und noch immer vollständig angezogen war. In der Luft hing der Gestank von Erbrochenem. Die erste Erinnerung an die vergangene Nacht durchfuhr mich wie ein heißer Schlag. Und wie ich weiter dalag, krochen immer mehr unzusammenhängende, in Scham gewandete Erinnerungen zurück.
Ich stand auf und ging auf die Toilette. Meine Schulter pochte leise. Ich erinnerte mich an meinen stolpernden Gang durch den Garten, an die unnachgiebige Härte eines Baumstamms. Ich hatte hier und da ein paar Kratzer, ansonsten war ich unverletzt. Der Spiegel gab keine weiteren Hinweise. Ich sah so aus wie immer, mit Ausnahme des aschfahlen Tons meiner Haut und eines verschwommenen dunklen Schattens unter den Augen. Ich würde den Kater mithilfe von etwas Essen und Kaffee früh genug abschütteln und auf diese Weise, hoffentlich, die Anstrengung und den seelischen Aufwand hinausschieben, den es erfordern würde, über das nachzudenken, was ich getan hatte. Ich spritzte mir Wasser ins Gesicht, spülte mir den Mund aus und spuckte ins Waschbecken. Dann ging ich Wasser für ein Bad aufsetzen.
Ich kam gerade mit dem ausgeleerten Topf aus dem Badezimmer zurück, als mir eine Frau auffiel, die auf der anderen Straßenseite stand. Mittlerweile nieselte es. Der Regen kam in dünnen, zähflüssigen Schlingen herunter, die am Himmel aufgehängt zu sein schienen. Die Frau hielt einen Regenschirm über sich und machte den Eindruck eines Menschen, der auf etwas wartet. Es lag an ihrer Reglosigkeit, vermute ich, sie sah
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