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Lied aus der Vergangenheit

Lied aus der Vergangenheit

Titel: Lied aus der Vergangenheit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: A Forna
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Später betrachtete er sie im Schlaf und fragte sich, was so ein winziges Geschöpf für Träume haben konnte.
    Auf dem Weg durch die Stadt hat er von einem Straßenhändler mehrere Päckchen Kekse gekauft. Er übergibt sie jetzt Kapuwa, der damit zu einem Tisch in der Mitte des Raums geht und sie gewissenhaft unter den Stationsinsassen aufteilt. Diejenigen, die nach vorn kommen können, tun dies leise und nehmen ihren Anteil entgegen. Den angeketteten Männern bringt Kapuwa die Kekse ans Bett. Lamin kommt hereingewatschelt. Die ganze Angelegenheit wird feierlich und schweigend vollzogen. Kapuwa, der die Reihe von Betten abschreitet, die Männer, die beide angeketteten Hände hochheben, um ihren Keks zu empfangen, dann ein Nicken oder ein geknurrter Dank. Adrian überlegt, woran ihn das erinnert, dann fällt’s ihm ein. Kapuwa sieht aus wie ein Priester, der die Kommunion spendet.
    Und später, als er durch die Station geht, nimmt er den Geruch nicht mehr wahr. Das Geräusch seiner Schritte beruhigend fest. Adrian ist so glücklich wie seit vielen Wochen nicht mehr. Monaten. Jahren.
    Heute trägt sie eine gemusterte blaue lappa und ein T-Shirt mit dem Bild eines Delphins. Das T-Shirt ist ihr zu groß und rutscht über eine Schulter, einen schlanken Knochen, an dem Fleisch und Haut haften. Sie ist barfuß. Dreiundvierzig. Zwei Jahre älter als Adrian, selbes Alter wie Lisa. Adrian denkt an die feinen Fältchen auf Lisas Haut. Agnes’ Gesicht ist makellos, sie wiegt nicht mehr als ein Mädchen. Sie könnte zwanzig, und sie könnte sechzig sein. Die Jahre lasten nicht auf ihrem Körper, sondern trüben das Licht ihrer Augen.
    Heute außerdem eine neue Entwicklung. Salia, der auf ihn gewartet haben musste, fing ihn ein paar Schritte hinter dem Tor ab und übergab ihm eine Goldkette.
    Sie sitzt ihm gegenüber, die Unterarme auf den Seitenlehnen des Stuhls. Diesmal sieht sie seltener zu Salia hinüber. Sie ist ruhig, ihre Stimme enthält wenig Intonation oder Gefühlsausdruck. Es fällt Adrian leichter, sie zu verstehen. Durch die Zeit, die er in der Anstalt verbracht hat, um Ileana bei ihren Visiten zu helfen, hat er sich in den Akzent und die Ausdrucksweisen der Sprache eingehört.
    Agnes. Geboren und verheiratet, erzählt sie ihm, wurde sie in einem Ort nördlich der Stadt; ihr Mann arbeitete bei dem staatlichen landwirtschaftlichen Projekt, züchtete verschiedene Sorten Obst und Gemüse. Zwergbananen, deren Ertrag dem der normalen in nichts nachstand, ja ihn sogar übertraf. Pawpaws, größer als die einheimische Varietät. Guaven, Limonen, Tomaten und Gemüse. Er behielt ein paar Samen für sie zurück, und sie zog sie auf ihrem eigenen Beet hinter dem Haus und tauschte die Erzeugnisse auf dem Markt ein. Irgendwann fing sie an, sie ein Mal pro Woche in die Stadt zu tragen, um sie vor den Supermärkten weißen Frauen zu verkaufen. Sie gebar fünf Kinder, von denen zwei nicht blieben. Es waren beides Jungen. Die Mädchen überlebten alle. Naasu. Yalie. Marian.
    Naasu, die Älteste, war ein hilfsbereites Kind und gescheit. Als sie die Mittelschule abschloss, richteten sie ihr ein Fest aus, mit Süßigkeiten und bunt gefärbtem Wasser. Sobald sie mit der Schule fertig war, bekam Naasu in der Stadt eine Stelle in einem Kaufhaus. Mittlerweile war ein Sack Reis viel teurer als früher. Und es gab außerdem Monate, in denen die staatliche Gärtnerei Agnes’ Mann keinen Lohn zahlte.
    An Tagen, an denen sie in die Stadt ging, um ihre Erzeugnisse zu verkaufen, besuchte Agnes Naasu manchmal im Kaufhaus. Naasu kam dann hinter dem Tisch hervor, an dem sie Kosmetika verkaufte, und führte sie in Lokale aus, in denen sie und die anderen Mädchen zu Mittag aßen, insbesondere in eines, das Red Rooster hieß. Agnes unterhielt sich gut, auch wenn es ihr falsch vorkam, Geld für Essen auszugeben, das jemand anders gekocht hatte. Sie aßen aus Pappschachteln. Anschließend sammelte Agnes die Schachteln ein, um sie mit heimzunehmen, obwohl Naasu lachte und versuchte, ihr das auszureden. Zu anderen Gelegenheiten brachte Naasu winzige Fläschchen Parfüm mit nach Haus, die, wie sie sagte, als Geschenk für die Kundinnen gedacht waren. Agnes bewahrte sie auf, um sie bei besonderen Anlässen zu benutzen. Ah, Naasu sah so schön aus in den Kleidern, die sie bei der Arbeit trug – dass sie sich das Gesicht anmalte, gefiel Alfred allerdings nicht. Naasu erklärte, sie müsse die Kosmetika selbst tragen, damit die Kundinnen sehen könnten, wie

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