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Lied der Wale

Lied der Wale

Titel: Lied der Wale Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: D Thomas
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bis ihr Junges ihr folgte, das Leah zum Abschied übermütig ein zweites Mal stupste. Dann schwammen beide davon. Leah fühlte es wie einen Schmerz, wäre den beiden am liebsten hinterhergeschwommen, sah aber, dass David ihr das Zeichen zum Auftauchen gab.
    Mechanisch stieg sie an Bord, nahm Brille und Atemgerät ab. Kurz lächelte sie David zu, doch auch dies geschah eher wie ein Reflex. Während Masao zur »SeaSpirit« zurücksteuerte, hingen beide ihren Gedanken nach. Davids Schweigsamkeit kannte Masao schon. Doch dass Leah einstimmte, wunderte ihn.
    Ein Teil von ihr befand sich offenbar noch nicht im Boot. Irgendwo dort draußen, an der Seite des Wals, durchschnitt er die Tiefe des Pazifiks wie ein neugewonnenes Universum, dessen Existenz ihr plötzlich bewusst wurde. Das eine Sehnsucht in ihr weckte, die so tief in ihr verankert zu sein schien, dass sie offenbar zu ihrem Wesen gehörte, ohne dass sie sie jemals zuvor wahrgenommen hätte.
    Sie spürte nicht, wie sie mitsamt dem Schlauchboot in die Lüfte gehoben wurde, und erst als David ihr auf die Schulter tippte, bemerkte sie, dass sie angekommen waren. Benommen trat sie in den Trockenraum, tauschte den Neoprenanzug gegen ihre Kleidung, dann eilte sie wieder zum Vordeck, um den Walen, ihren Walen, nachzuspähen. David machte keinen Versuch, sie anzusprechen, und sie war ihm dankbar dafür. Er hauchte ihr lediglich einen Kuss aufs Haar und verschwand.
    Gütiger Himmel, wie lange hatte sich Leah nach einem Zeichen seiner Zuneigung gesehnt! Nur war ihr Gehirn gerade zu nichts zu gebrauchen. Die sanfte Berührung wurde protokolliert, abgelegt, und man widmete sich wieder den wichtigen lebenserhaltendenMaßnahmen. Atmen zum Beispiel. Leah schaute auf die Meeresoberfläche, fast wie betäubt. Es dauerte eine halbe Stunde, bis sich auf ihrem Gesicht wieder eine Regung zeigte. Erst zitterten die Lider. Dann spürte sie, wie die Tränen rannen.
    E r jagt Wale? So richtig Action also?«
    »Yep, so richtig Action«, versicherte ihm Geoffrey. »Aber das ist unser Geheimnis, es bleibt unter uns Männern, ein Wort zu deiner Mutter und ...«
    Michael wollte keine Zeit verplempern, der Achtzig-Dollar-Köder ließ die vierundzwanzig Stunden Lieferzeit von Amazon wie eine Ewigkeit erscheinen. Da Geoffrey noch so einiges zu erledigen hatte, eilte sein plötzlich in eine Leseratte verwandelter Filius in spe von dannen, um die acht Wälzer endlich zu ergattern. Wollte sie sogar mit ins Camp nehmen. Bis zum Ende der Sommerferien alle gelesen haben. Am liebsten heute noch mit ›Moby Dick‹ anfangen. Kein Wenn, kein Aber: Geoffrey konnte auf seine Instant-Vaterschaftserfolge stolz sein. Warum ist Leah bloß nicht darauf gekommen, welche Wunder ein bisschen Kohle bewirken kann. Apropos Kohle.
    Er nahm sich Nicks Papiere noch einmal vor und musste seine Stimme auf das Niveau eines Footballmanagers anheben – »Ja, Sally, sofort heißt jetzt!« –, um von der Anzeigendisposition den aktuellen Stand der Buchungseingänge für das kommende Quartal anzufordern. Zu seiner eigenen Beruhigung betete er sich den ganzen Sermon von Jeder-muss-denken-wie-ein-Unternehmer-auch-als-Angestellter vor, den er bei seinem ehemaligen Boss schon so gehasst hatte. Dass er sich jetzt dazu hinreißen ließ, sich genauso zu verhalten, war ein Zeichen für seine Anspannung.
    Kazuki hatte ihm eine Serie von Anzeigen versprochen, dieüber zwei Jahre laufen sollte. Wöchentlich eine. Ganzseitig. Er griff zum Taschenrechner, fluchte, weil er die Anzeigenpreisliste nicht greifbar hatte, wühlte sich durch die Stapel auf dem Schreibtisch, gab schließlich auf und lud sie sich von den eigenen Internetseiten herunter.
    Eine Weile übte er sich in der Kunst von Addition und Multiplikation und sah dann eine Zahl, die ihn, zumindest in enger Nachbarschaft mit einem Dollarzeichen, mächtig beeindruckte.
    Sally aus der Anzeigenabteilung steckte zaghaft den Kopf in den Türrahmen, noch eingeschüchtert von dem Donnerwetter, das sie stellvertretend für all jene abbekommen hatte, die die Unverschämtheit besaßen, sich nach sieben nicht mehr die Zeit im Büro zu vertreiben.
    »Mr Wilbert?«
    Geoffrey strahlte sie an. »Sally, kommen Sie doch rein! Sorry, dass ich ein wenig die Contenance verloren habe.«
    Sally erwiderte nichts, drückte ihm nur schnell die gewünschten Unterlagen in die Hand und verließ den Raum; vielleicht fürchtete sie, dass er es sich anders überlegte. Auch gut. Es gab gerade Wichtigeres als eine

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