Lied der Wale
kommandierte David.
»Jetzt kommt der unangenehme Teil«, hörte sie Masao sagen, »Sam und ich werden die Kadaver, die an der Oberfläche treiben, vom Netz lösen, David und Joe fusseln dann die Reste raus, die sich derzeit noch unter der Wasseroberfläche befinden.«
»Ich mache mit«, entschied Leah, die sich darüber wunderte, dass offenbar auch Masao davon ausgegangen war, sie wolle hier nur die stumme Beobachterin spielen.
Der Japaner wechselte einen Blick mit Sam. »Ich sag’s dir gleich, ist ’ne Arbeit, von der ich nicht weiß, ob dein Magen sie verkraftet.«
Leahs Antwort bestand aus der Frage, wie man nun vorgehe. Das Prinzip war einfach, wie sich herausstellte. Sam reichte ihr ein Messer. Waren die Tiere tot, wurden sie vom Netz geschnitten. In diesem Fall so, dass man das Netz möglichst nicht zu sehr beschädigte. »Im Zweifel setzt du das Messer eher bei dem Tier an.«
»Die Netze ganz lassen?«
Sam schien nach Worten zu suchen. Wie sollte er ihr den offensichtlich seltsamen Wunsch erklären.
»Die Tiere sind tot«, half ihm Masao, »wir können nichts mehr für sie tun.«
Leah unterbrach ihn: »Sie sind doch nicht alle tot, wir könnten doch auch lebende finden!«
Wieder einer dieser Blickwechsel zwischen den beiden Männern, der ihr signalisierte, dass sie keineswegs zu den Eingeweihten gehörte.
»Wenn wir ein lebendes Tier finden, dann versuchen wir es zu retten, aber glaub mir, sie sind fast alle tot.«
Leah sah erneut auf den reglosen Seevogel, der wenige Meter von ihnen entfernt in den Maschen hing. Dann schweifte ihr Blick weiter in die Ferne, und es schien ihr, als würde sich diese Todesfalle bis hinter den Horizont erstrecken. »Wie lang ist es?«, fragte sie tonlos.
»Keine Ahnung. Sie können bis zu sechzig Kilometer lang sein, die Japaner benutzen solche«, antwortete Masao, dankbar, dass Leah ihre ursprüngliche Frage zu Sinn und Zweck unversehrter Netze vergessen hatte.
Doch er irrte sich, dazu war Leah zu sehr Journalistin. Sie hakte nochmals nach.
»Wir erklären’s dir später, o. k.? Lass uns an die Arbeit gehen.« Mit diesen Worten lehnte sich Masao über die Bootswand und zog das Netz zu sich. Sam tat es ihm gleich, und auch Leah platzierte sich auf ähnliche Weise zwischen den beiden Männern.
Die Sonne brannte auf sie herab, und das Meer schien sich weiter zu beruhigen. Die Stille um sie herum wurde nur von den dumpfen Geräuschen schneidender Messer unterbrochen. Sam hatte nun den toten Vogel genau vor sich. Sein einst weißes Gefieder war völlig zerrupft, sein Körper wirkte deformiert. Leah fragte sich, woran er gestorben sein mochte – war er verhungert oder ertrunken? Der starre Blick seiner milchig trüben Augen traf sie wie ein Vorwurf. Sam durchtrennte den Flügel des Vogelsund griff nun nach dem Körper. Er zog den Torso vom Netz, warf ihn von sich und zog als Nächstes den Flügel aus den Maschen. Diesen schleuderte er ebenfalls hinter sich. Ein Würgereiz überfiel Leah, doch sie unterdrückte den Impuls, sich zu übergeben. Masao und Sam zogen am Netz, und bereits wenige Meter weiter fanden sich wieder zwei Vögel. Tot.
»Sind das Möwen?«
»Eissturmvögel«, antwortete Masao und holte das Netz ein Stück weiter ein, bis einer der Vögel direkt vor Leah schwamm. Er war noch nicht in den Zustand der Verwesung übergegangen, und für einen Augenblick hoffte Leah, er könne noch leben. Doch dann sah sie sein gebrochenes Genick. Auch für ihn kam jede Hilfe zu spät.
Masao wollte das Tier schon zu sich ziehen, doch Leah war schneller. Sie war gekommen, um zu helfen. Also würde sie es jetzt tun. Sie spürte den toten Körper, der keinen Widerstand leistete, zwischen ihren Fingern.
Auch er hatte sich mit den Flügeln im Netz verfangen. Leah versuchte zunächst, die Flügel ohne den Gebrauch des Messers zu befreien, doch das Gefieder wirkte wie eine Ansammlung von Widerhaken. Anfangs behutsam, als könnte sie dem Vogel noch wehtun, versuchte sie Faden um Faden des Netzes von den Flügeln zu trennen. Doch es funktionierte nicht. Also begann sie, an dem Tier zu zerren, aber auch das wollte nicht zum gewünschten Erfolg führen.
Masao kam ihr zu Hilfe. Mit drei geübten Schnitten trennte er den Kopf vom Rumpf des Vogels und schleuderte ihn davon. Dadurch konnte er den einen Flügel ohne weiteres aus dem Netz ziehen. Um den zweiten zu befreien, musste er nochmals zum Messer greifen.
»Ich will dir nicht zu nahe treten, Leah, aber wenn wir jeden
Weitere Kostenlose Bücher