Lied des Schicksals
den Rücken, bettete erneut den Kopf auf die Hände und starrte in den Himmel. »Ich hab gedacht, du würdest das verstehen.«
Nelson ignorierte den Groll in der Stimme des Jungen. »Vielleicht würde ich es verstehen, wenn du mir deine Gründe erklären würdest. Aber verdammt noch mal, Darcy, was meinst du denn, wo du die nötige Schulbildung herkriegen sollst? Leute wie wir kriegen so etwas nicht. Hast du vergessen, dass du ein halber Aborigine bist?«
»Daran werde ich jedes Mal erinnert, wenn ich in die Stadt gehe.«
»So verbittert, Darcy? Das sieht dir gar nicht ähnlich.«
»Das sieht mir wohl ähnlich.« Darcy stand auf und schob mit der Stiefelspitze ein Holzscheit ins Feuer. Ein Funkengestöber sprühte auf. Dann entzündete sich das Scheit und fing an zu brennen. Nelson beobachtete ihn. An der mürrischen Entschlossenheit in Darcys Gesicht konnte er die Stimmung des Jungen ablesen.
»Wenn du schon das Feuer schürst, kannst du auch gleich den Kessel aufsetzen. Dann trinken wir noch eine Tasse Tee, bevor wir uns schlafen legen.«
Darcy machte den Tee, ohne auch nur ein einziges Wort zu sagen, was Nelson nicht weiter störte. Er würde warten, bis der Junge bereit war zu reden. In Nelsons Kopf wimmelte es von Fragen, auf die er keine Antwort wusste. Erst als beide mit einem groÃen Becher dampfenden Tee in der Hand auf ihren Decken saÃen, war Darcy bereit, näher auf seine überraschende Ankündigung einzugehen. Er sprach mit leiser Stimme. Seinen Worten war deutlich der Groll anzuhören, der sich wie ein Geschwür in seine Seele gefressen hatte.
»Warum muss es ein Gesetz für die WeiÃen geben und für die Aborigines ein anderes? Fast jedes Mal, wenn ich nach Ballarat komme, sehe ich irgendein Beispiel dafür, wie ungerecht die Aborigines von den WeiÃen behandelt werden. Und dabei geht es nicht nur um Kleinigkeiten. Wenn ein Aborigine ein Verbrechen begeht, wird er viel härter bestraft als ein WeiÃer für das gleiche Verbrechen. Wenn ein Schwarzer einen WeiÃen tötet, wird er entweder ohne Prozess erschossen, oder er wird vor Gericht gestellt und gehenkt. Wenn ein WeiÃer einen Schwarzen erschieÃt, geschieht ihm nichts. Erinnere dich doch nur mal an die Familie, die unsere Schafe getötet hat. Dieser Sergeant ist für die Morde nicht belangt worden. Seitdem lacht er uns nur noch aus.«
»Es sind auch schon weiÃe Männer für den Mord an Aborigines hingerichtet worden. Manchmal gibt es Gerechtigkeit.«
»Ja, manchmal. Es muss aber jederzeit Gleichheit vor dem Gesetz bestehen. Ich will vor Gericht jeden schwarzen Mann und jede schwarze Frau verteidigen können, der oder die eines Verbrechens beschuldigt wird. Für die Unschuldigen werde ich Gerechtigkeit fordern. Und wenn der Angeklagte schuldig ist, will ich dafür sorgen, dass die verhängte Strafe angemessen ist.«
Darcy hielt inne, starrte in die Glut und beobachtete die Flammen. Als Nelson schwieg, hob er den Kopf. »Verstehst du jetzt, warum ich Jura studieren möchte?«
»Ja, mein Sohn, das verstehe ich. Das würde auch deine Mutter tun und zweifellos noch einige andere Leute. Doch versprich mir, dass du dein Herz nicht zu sehr daran hängst. Denn mal ganz ehrlich: Wie groà ist deine Chance, deinen Traum zu verwirklichen?«
»Wenn man etwas ganz stark will, findet man auch einen Weg.«
»Vielleicht, vielleicht aber auch nicht. Lösch das Feuer. Wir müssen bei Tagesanbruch aufstehen.«
Nachdem sie sich schlafen gelegt hatten, blieb Darcy noch lange wach und dachte darüber nach, was er seinem Stiefvater nicht erzählt hatte. Er befasste sich nämlich bereits mit den Fachgebieten, die er für die Aufnahmeprüfung an der Universität brauchte. Boney stand hundertprozentig hinter ihm. Dass der Lehrer einen Teil des Ruhms für sich selbst einheimsen würde, sollte Darcy aufgenommen werden, störte Darcy überhaupt nicht. Er hasste es, nicht zu wissen, wohin er gehörte, weder ein WeiÃer noch ein Schwarzer zu sein. Die Stammesaborigines akzeptierten ihn genauso wenig als einen der Ihren, wie das die WeiÃen taten. Irgendetwas tief in seinem Inneren trieb ihn dazu, sich seinen eigenen Platz in der Welt schaffen zu wollen.
Die Monate vergingen, und auch wenn Jane ihrem Sohn riet, seine Wünsche und Hoffnungen nicht zu hoch zu stecken, unternahmen seine
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