Lied des Schicksals
viel aus. Sally und ich sind gute Freundinnen geworden. Nachts im Bett tauschen wir gerne unsere Geheimnisse aus.«
»Hast du mir deshalb nur einen einzigen Brief geschrieben?«
»Meinst du, weil ich eine neue Freundin habe? Nein, Louisa. Ich bin einfach nur eine sehr faule Briefeschreiberin. Vermutlich hätte ich nicht einmal so regelmäÃig an Mama und Papa geschrieben, wenn wir uns nicht zu bestimmten Zeiten hinsetzen und Briefe nach Hause schreiben müssten. An Ruan habe ich auch nur zweimal geschrieben.«
»Habt ihr Mathematikunterricht?«
Die Wehmut in Louisas Stimme bei dieser Frage verblüffte Etty. »Du meine Güte, nein. Das Einzige, was junge Damen über Mathematik wissen müssen, ist, wie man richtig addiert und subtrahiert. Eine Dame muss nämlich überprüfen können, ob ihre Haushälterin das Haushaltsbuch ordentlich führt.«
Der aufgesetzt hochherrschaftliche Ton, mit dem Etty das sagte, löste bei beiden Mädchen einen Kicheranfall aus. »Eine akkurate Handschrift hält man beispielsweise für viel wichtiger«, fügte Etty hinzu, nachdem sie sich wieder einigermaÃen beruhigt hatte. »Und die Art und Weise, wie eine Dame spricht. Wir bekommen Unterricht in Sprechtechnik.«
»Was macht man denn da?«
»Man lernt, wie man korrekt spricht. Wir müssen laut lesen üben, damit wir eine Geschichte so vorlesen können, dass es sich gut anhört. Was natürlich keiner jungen Frau von Nutzen ist, es sei denn, sie hat eine ältere Verwandte, die sich gerne etwas vorlesen lässt.« Erneut fingen die Mädchen an, über Ettys übertrieben aufgeblasenen Ton zu kichern.
»Müsst ihr wirklich so reden?«, stieà Louisa unter Lachen hervor.
»Ich übertreibe, Louisa. AuÃerdem haben wir Tanzstunden, Musikstunden, Gesangsstunden und Benimmstunden. In denen muss man unter anderem mit einem Buch auf dem Kopf herumspazieren. AuÃerdem müssen wir lernen, wie man anständig sitzt, wie man unterschiedliche Leute korrekt anspricht und wie der Tisch für ein Dinner gedeckt sein sollte. Ganz ehrlich, Louisa, ich hätte mir nie vorstellen können, dass es so viele Dinge gibt, die eine junge Dame der Gesellschaft wissen muss.«
»Macht es dir denn SpaÃ, all diese Dinge zu lernen? Ich fände das furchtbar langweilig.«
»Ich will das alles lernen. Wenn ich erst eine berühmte Sängerin bin, will ich in der Lage sein, mich an den elegantesten Orten zwischen den vornehmsten Menschen bewegen zu können.« Etty bemerkte Louisas Gesichtsausdruck. »Warum guckst du mich so an? Glaubst du nicht, dass ich berühmt werde?«
»Etty, du bist so fest entschlossen. Ich bin sicher, dass du sehr berühmt werden wirst. Ich hab mir nur gerade vorgestellt, wie ich so ein Leben führen und dabei kläglich versagen würde. Ich wäre zufrieden damit, mein ganzes Leben hier auf Langsdale zu verbringen.«
»Du glaubst das nur, weil du nichts anderes kennst.«
»Ich war mit dir beim Besuch des Prinzen in Melbourne.«
Etty machte eine wegwerfende Handbewegung. »Solche Festveranstaltungen geben einem keine Vorstellung davon, wie ein anderes Leben aussehen könnte. Die finden nie wieder statt. Es sei denn, Königin Victoria persönlich beschlieÃt, Australien einen Besuch abzustatten.«
»Die Königin würde niemals so weit reisen, wenn sie den Prinzen als ihren Gesandten schicken kann. Ich würde allerdings die Königin schon gerne mal sehen.«
»Eines Tages werde ich für die königliche Familie singen. Sie werden so begeistert von meiner Stimme sein, dass sie wollen, dass ich ihnen vorgestellt werde.«
»Um für die königliche Familie zu singen, musst du nach England reisen.«
»Das werde ich auch tun, meine ach so praktisch denkende Louisa.«
Louisa blieb die Luft weg. »Tatsächlich? Wann denn?«
»In einem Jahr, wenn ich siebzehn bin.«
»Oh.« Louisa wirkte bedrückt. »Tante Meggan hat uns gar nichts davon gesagt, dass du nach England gehst.«
»Meine Mutter weià noch nichts davon. Und du solltest es auch niemandem sagen.«
Louisa lächelte erleichtert. »Ach, ich verstehe. Du hoffst also nur, dass du nach England gehst.«
»Ich habe es fest vor. Wenn Mama und Madame nicht einverstanden sind, werde ich eben allein mit Alistair reisen.«
Eine tiefe Stimme hinter ihnen lieÃ
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