Lied für eine geliebte Frau
üblichen Dienstage ein, wie immer im Restaurant der weiÃen Russen,
Chez Dominique
. Dort knallte er ihm diese Wahrheit an den Kopf:
«Eine Liebe, die aus dem Tod entstanden ist, ist keine einzigartige Liebe.»
«Wie bitte?»
«Du liebst sie immer mehr, seit sie tot ist. Du brauchst also den Tod, um sie zu lieben. Es ist also eine Liebe zu dritt: sie, du und der Tod.»
Die Faust des Ãlteren verfehlte den Backenknochendes Jüngeren nur knapp. Es war ein kritischer Augenblick, und der eine wie der andere konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen: Ein Hauch ihrer Kindheit hatte sie gestreift, die Erinnerung an schreckliche Kämpfe, die für den Jüngeren zweimal im Krankenhaus geendet hatten. Weit entfernt, die beiden Brüder zu besänftigen, entfachte dieser Anklang an alte Zeiten die Wut erst recht.
Man muss zugeben, dass der Jüngere seinen groÃen Bruder nicht schonte.
«Reg dich nicht auf, das kommt häufig vor. Die meisten Menschen brauchen einen Dritten, um zu lieben, einen Liebhaber zum Beispiel oder eine Geliebte. Bei dir ist der Dritte im Bunde eben der Tod. Mach, was du willst. Aber komm mir nicht damit, dass es die groÃe Liebe war.»
Glücklicherweise hielten die Kellner seinen groÃen Bruder weiterhin fest: Sonst hätte es hier, bei den weiÃen Russen, einen Mord gegeben.
Der Wirt bedauerte lange, dass das Drama nicht stattfand. Hin und wieder machte er den Kellnern daraus einen Vorwurf.
«Ihr hättet sie machen lassen sollen. Denkt nur, was für eine Werbung das für unser Restaurant gewesen wäre!»
«Kommen Sie, Chef, das meinen Sie nicht im Ernst, oder?»
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«Das Leeren des Speichers».
In unserer Gegend der Bretagne werden Flohmärkte so genannt, vielleicht um ihnen eine familiäre Note zu geben. Denn der Charme eines Flohmarkts ist es, Menschen zusammenzubringen, die mit der Vergangenheit handeln, professionelle Händler ebenso wie Liebhaber. Scheinbar wertvolle Dinge, falsche, aber sorgfältig gearbeitete maritime Antiquitäten, Sextanten, Fernrohre, Messinglampen â¦, dazwischen Berge von Müll, angeschlagene Tassen, Devotionalien, 45-mm-Schallplatten von Sheila, den Platters ⦠Die örtlichen Vereine präsentieren sich für gewöhnlich in unmittelbarer Nähe des Zentrums der Veranstaltung: beim Getränkestand und seinen Anhängseln, den Buden, in denen man isst. Und während man von einem humanitären Anliegen zum nächsten stolpert â Fair-Trade-Baumwolle, die Rettung der Meere, die Pflege der bretonischen Sprache von der ersten Klasse an, der Hunger in Niger â, weht einem der Duft von Bier, Bratwurst und Ferkel um die Nase.
Zuerst sah ich das Spruchband, das zwischen zwei als Kleiderhaken dienende Hirschgeweihe gespannt war:
L ATEINAMERIKANISCHE T ÃNZE IM T RÃGOR
I NTERNATIONALER F REUNDESKREIS
Aus einem Gettoblaster, der seine besten Tage hinter sich hatte, tönte ein knisternder Salsa und versuchte, sich einen Weg durch die von Seemannsliedern bereits ausgefüllteAtmosphäre zu bahnen. Männer und Frauen aller Altersstufen, zweifellos die Mitglieder des Internationalen Freundeskreises, stieÃen fröhlich auf irgendeine gute Nachricht an. Keiner sah sehr südamerikanisch aus, vierschrötige Menschen mit eher rötlicher als olivbrauner Hautfarbe, mit eher schwerem als wiegendem Schritt und eckigen statt flieÃenden Bewegungen.
Diese sympathische Plumpheit überzeugte mich. Ich erkannte mich mühelos darin wieder. Sie verstehen: Eine Riege von Hidalgos hätte mich in die Flucht geschlagen. Ich trat näher.
«Madame Ochoa, Madame Ochoa, ein neuer Tänzer!»
Man drängelte, um mich vorzustellen, man schlug sich beinahe darum, meine Aufnahme zu unterstützen. Die Gruppe der Zecher machte Platz, und die Chefin erschien, die Lehrerin, die denkwürdige Madame Ochoa, ein kleines, einnehmendes Weibsbild, allerdings in Wespenfarben gekleidet, das T-Shirt gelb, alles andere, Hose, Augen, Haare, war schwarz.
«Sie sind also fest entschlossen, richtig?»
Ich nickte. Ich war vollkommen verängstigt, denn ich ahnte, dass man sich mit einer solchen Frau nicht unüberlegt einlassen sollte.
Sie musterte mich von Kopf bis FuÃ.
«Ausgezeichnet. Mal sehen, was sich machen lässt. Morgen, um 18 Uhr. Das dritte Haus hinter der Gautschi-Baustelle.»
Man gab mir ein Glas, denn jetzt gehörte ich zum
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