Lied für eine geliebte Frau
Freundeskreis dazu, und schon stieà ich mit den anderen an. Die Stimmung steigerte sich ins Euphorische.
«Erinnerst du dich noch an den?»
Mit einer knappen Kinnbewegung, die durch ein schüchternes, fast trauriges Lächeln zurechtgerückt wurde, deutete einer der Tänzer auf den alten Gettoblaster, aus dem das kubanische Knistern quoll.
«Lass ihn doch, Jean-Loup! Wir haben alle einmal angefangen. Ich heiÃe Isabelle.»
An dem Tag hatte sie rotes Haar. Als Besitzerin eines Friseursalons war es ein Leichtes für sie, die Haarfarbe zu wechseln. Sie reichte mir die Hand. Ich wusste nicht, dass ich dabei war, die Tür zu einer riesigen Familie aufzustoÃen: Da waren nicht nur Isabelle und Jean-Loup, sondern auch Tito Puente, Philippe, der Landwirt und Marathonläufer, Celia Cruz, Yvette, die Frau des Seekabellegers, Compay Segundo, Pierre-Louis und Nelly, die Besitzer der Werft, Gloria Estefan, Ibrahim Ferrer und Nathalie, die Schönheitskönigin, die Buchhändlerin vom Kreisverkehr ⦠ein bunt gemischtes Völkchen, die Künstler und wir, die Tanzschüler, über die die kleine Madame Ochoa herrschte.
«Du bist der dritte Neuling seit heute Morgen.»
«Wie ich euch sagte, solche Flohmärkte sind eine Fundgrube!»
«Wenn das so weitergeht, brauchen wir noch einen neuen Raum!»
«Ich wusste, Armorika[ * ] und Amerika sind miteinander verwandt.»
Madama Ochoa gab sich bescheiden.
«Ja, ich bin glücklich. Aber es bleibt noch viel zu tun â¦Â»
Zu ihrem eigentlichen Ziel äuÃerte sie sich nicht.Fühlte sie sich mit der Mission betraut, die ganze bretonische Granitküste zu karibischer Geschmeidigkeit zu bekehren?
Eine hochgewachsene Blonde, Bénédicte, nahm mich unter ihre Fittiche.
«Recht hast du. Es ist nie zu spät, um damit anzufangen. Schau mich an. Stell dich darauf ein, dass du dich von Grund auf veränderst. Ich bin Künstlerin. Das Tanzen hat meine Skulpturen völlig umgekrempelt, du wirst sehen. Was für ein Glück, dass Madame Ochoa bei uns ist!»
Glück, Zufall oder, wenn man so will, klitzekleine Wahrscheinlichkeiten. Madame Ochoa, die Präsidentin und Gründerin des Freundschaftskreises, war nicht von hier. Väterlicherseits stammte sie aus Kuba, mütterlicherseits aus Trinidad, und ihre ersten beiden Ehemänner lebten in Caracas. Gepriesen sei der dritte, ein Spanischlehrer, der sie nach Lézardrieux ins Departement Côtes-dâArmor gelockt hatte.
Ich habe festgestellt, dass Tanzlehrer häufig fern von ihrer Heimat wirken. Vielleicht gibt es dort wenig Kundschaft, vielleicht muss man Länder und Meere überqueren, bis man Menschen findet, die bereitwillig dafür bezahlen, dass man ihnen beibringt, ihren Körper zu bewegen? Vielleicht ist aber auch keine Tanzfläche groà genug für einen Tänzer? Hat man einmal zu tanzen angefangen, hört der Tanz nicht mehr auf, die Schritte tragen einen ans andere Ende der Welt.
Ihre Absätze machten sie auch nicht gröÃer. Man sah auf den ersten Blick, dass ihre Stärke nicht in ihrer GröÃe lag. Sie muss sehr früh das Interesse am Wachsen verloren haben. Als der Kopf etwa bei einem Meter sechzig angekommenwar, wollte er nicht mehr höher hinaus, er blieb auf dieser Höhe und hat es offensichtlich nie bereut. Unter diesem Fixpunkt ging es drunter und drüber, Madame Ochoas Körper berauschte sich an Bewegungen. Arme, Hüften, Knie gaben sich nach Herzenslust hin, als wären sie Kinder, denen man das untere Stockwerk überlassen hat. Sie plapperten ununterbrochen, sie führten endlose, ziemlich chaotische Techtelmechtel auf: Komm her, riefen die Arme, und einen Moment später: Du kannst mir gestohlen bleiben; du kriegst mich, sagten die Hüften, und dann verweigerten sie sich; ich geh jetzt, sagten die Knie, oder, nein, ich komm zurück. Arme Liebhaber oder armer Ehemann, bei Madame Ochoa mussten sie einfach verrückt werden. Unser eigener Körper erzählt nur eine einzige Geschichte. Madame Ochoas Körper jedoch erfand ein gutes Dutzend gleichzeitig.
Sie bewegte sich allzu schön und allzu ungezwungen. Ein entmutigendes Talent für einen Lehrer. Wer hätte noch gehofft, mit groÃem FleiÃ, ja sogar mit viel Ãbung und untadeliger Gewissenhaftigkeit in ihrem Unterricht eines Tages zu so wunderbar flieÃenden Bewegungen zu gelangen?
Ich merkte, dass man
Weitere Kostenlose Bücher