Lied ohne Worte: Roman (German Edition)
gewohnt spöttischer Manier Iwan Iljitsch.
«Ich habe gesündigt und mich dann überraschend entschieden, Ablass zu tun.»
«Und Pjotr Afanassjewitsch?»
«Er bleibt bei Aljoscha auf dem Land.»
«Und werden Sie lange fort sein? Vielleicht gefällt Ihnen ja das Klosterleben und Sie bleiben auf immer dort?»
«Wer weiß das schon? Alles ist möglich.»
«Aber Sie kehren doch hierher zurück?»
«Sicher.»
«Und wann geht es nach Moskau?»
«Ich weiß es nicht, weiß es einfach nicht. Man sollte so lange wie möglich in der Natur bleiben. Nun denn, leben Sie wohl.»
«Leben Sie wohl, Alexandra Alexejewna, ich wünsche eine gute Reise.»
Sascha streifte ihren Handschuh ab und reichte Iwan Iljitsch die Hand. Und wieder hielt er sie wie beiläufig in der seinen, die so schön und warm war, und Sascha sträubte sich nicht dagegen, doch war es nicht Erregung, die sie empfand, sondern ein stilles Gefühl von Seligkeit und Frieden.
Iwan Iljitsch blickte dem davonfahrenden Wagen nach und bemerkte erstaunt, dass der Himmel noch dunkler geworden war, der Ostwind noch durchdringender blies und die Schwalben noch aufgeregter hin und her flogen. Plötzlich verspürte er den Wunsch, nach Hause zu fahren, sich in seinem gemütlichen Heim zu wärmen und mit ganzer Seele seiner Kunst zu widmen.
Zurück im Sommerhaus, setzte er sich ans Klavier und begann zu improvisieren. Traurige Akkorde entströmten dem Instrument und ergaben seltsame harmonische Wechsel. Es lag etwas Tragisches in ihrem Seufzen, und Iwan Iljitsch ließ sich fesseln, gab sich seinem musikalischen Gespür hin, das untrüglich war, ihn treu begleitete und seinem Leben vollkommene Erfüllung brachte.
III
Der Zug kam gegen Abend an, gerade als im Kloster die Glocken zur Vesper riefen. Auf dem großen Platz direkt gegenüber dem alten Gasthof war ungeheures Menschengewirr: An den Marktständen mit Spielzeug, Heiligenbildchen, Geschirr und Trockenhering drängten sich die Gläubigen und das Volk. Die Pferdekutscher, die die Reisenden zu ihren Bestimmungsorten brachten – zum Bahnhof, zum Frauenkloster in Chotkow 31 , zur Einsiedelei von Tschernigow 32 , zur Geistlichen Akademie und zu verschiedenerlei anderen Flecken in der Umgebung des Klosters -, fuhren vor dem Eingang des Gasthofs vor, läuteten ihre Glocken und verhandelten mit den Fahrgästen.
Sascha ging mit Parascha in den Gasthof und bestellte einen Samowar.
«Parascha, bis der Samowar erwärmt ist, gehe ich ins Kloster.»
«Aber so ruhen Sie sich doch ein wenig aus, Alexandra Alexejewna.»
«Ich bin gar nicht müde.»
Sascha trat auf den Platz hinaus und ging in Richtung des Klostertors. Plötzlich hörte sie hinter sich eine Frauenstimme, die ihr mit fremdem Zungenschlag schnell etwas ins Ohr sprach. Sascha zuckte zusammen und wollte entfliehen, doch die Zigeunerin, mit überaus ausdrucksvollen, überaus schwarzen Augen, zerzaustem Haar und rot bemalten Wangen im dunklen, knochigen Gesicht, erzwang so nachdrücklich ihre Aufmerksamkeit, dass sie stehen blieb.
«Du liebst einen blonden Mann, liebst ihn bis zur Tollheit… Willst du, dass ich den Liebeszauber spreche… Gib mir acht Griwna 33 , und, bei Gott, ich geb dir ein Zaubermittel. Ein Würzelchen, wickle es in ein Taschentuch und berühr damit seine Schulter – er wird nach dir sich verzehren.»
«Nein, nicht nötig!»Sascha wollte sich losmachen, doch die Zigeunerin ließ nicht von ihr ab.
«Komm mit mir, die Zigeunerin Maria Iwanowna kennen alle hier. Der Pferdehändler Nikita ist mein Mann. Komm, ich habe ein eigenes Haus. Ich kenne alle Zaubersprüche… Doch gib mir acht Griwna… Er wird dich über alles lieben… Noch wagt er es nicht.»
«Lass mich, lass mich», rief Sascha verzweifelt und rannte zum Klostertor. Dort mischte sie sich unter die Menge, die der Kirche zustrebte, und trat in die niedrige Säulenhalle. Die Menschen küssten die Reliquien des heiligen Sergius. Sascha stellte sich hinter eine alte Frau, und als die Reihe an ihr war, warf sie sich, ohne darüber nachzudenken, bebend und erregt vor dem Grab des Heiligen nieder und betete um Errettung.
Wovon sie errettet werden wollte, war ihr noch nicht bewusst; zumindest aber vermochte sie es sich nicht einzugestehen.
Der Priester las die Abendmesse und sang den Akathistos 34 zu Ehren des Heiligen. Der gleichförmige Gesang trug den langen Klostergottesdienst. Gedämpften, schleichenden Schrittes bewegten sich die Mönche wie Schatten, entzündeten Kerzen,
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