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Lied ohne Worte: Roman (German Edition)

Lied ohne Worte: Roman (German Edition)

Titel: Lied ohne Worte: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sofja Tolstaja
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ausprobieren… Das ist außerordentlich interessant!»
    Pjotr Afanassjewitsch erzählte, trank Tee und kaute, vernehmlich schmatzend, sein Weißbrot.
    Sascha mochte dieses Schmatzen nicht; sie blickte den gutmütigen, selbstzufriedenen Pjotr Afanassjewitsch missbilligend an, und zum ersten Mal in ihrem Leben sah sie ihn in neuem Licht und begriff, wie wenig sie gemein hatten. Bestimmt, er liebte sie, war rechtschaffen und sanft… Doch verstand er sie? Hatte er jemals ihr Innenleben zu ergründen versucht, begriffen, dass sie seine Interessen – die Versicherungsgesellschaft, die Zucht möglichst großer Blumenzwiebeln – nicht teilen konnte, obgleich sie dafür stets Anteilnahme bekundete? Und gerade jetzt, in ihrer Trauer, als sie mit ihrer ganzen Kraft suchte, woran im Leben sie sich klammern könnte, als ihre Seele so hoch sich erhoben hatte, um die Geheimnisse von Leben und Tod zu durchdringen – half er ihr, blickte er in ihr Inneres? War er in der Lage, sie für etwas zu interessieren, ihr etwas zu geben, ihr das Entsetzen vor dem Tod zu nehmen und den Sinn des Lebens begreiflich zu machen?… Nein, sie wusste, dass er ihr nicht helfen konnte, sie selbst aber war derart schwach, nervlich angegriffen, so unglücklich…
    «Nun, der Zug fährt bald ab… Ist alles fertig? Sehr gut, Saschenka, du hast ja schon alles gepackt!»Pjotr Afanassjewitsch gab sich Mühe, etwas Wohlwollendes zu sagen.
    Eine halbe Stunde später trug der Zug Sascha und Pjotr Afanassjewitsch bereits nach Moskau zurück.

VI
     
    Unbemerkt zog der Frühling vollends ein. Die doppelten Fenster wurden ausgehängt, man begann, die staubigen Moskauer Straßen zu besprengen; in den Gärten und auf den Boulevards zeigte sich ein leichter, grüner Flaum an den Bäumen; die Bürger trugen schon die Teetische in die Gärten und saßen, in Vorfreude auf die Übersiedlung in ihre ländlichen Sommerhäuser, auf den Balkonen und Veranden.
    Die Studenten, die Gymnasiasten und die gesamte noch lernende Jugend schmachtete in den warmen Uniformjacken und in Erwartung der Examen. Die gewissenhaften Schüler paukten ihre Lektionen, die faulen beschwerten sich, saßen mit ihren Büchern in der Hand am offenen Fenster und beneideten jene Glücklichen, die auf Fahrrädern, in Pferdewagen und Landauern bereits Ausflüge ins Grüne machten.
    Über die Straßen Moskaus zogen die Fuhrwerke der aufs Land übersiedelnden Städter in Richtung der Stadttore, beladen mit Möbeln, Matratzen, Kinderwagen, Pflanzen, Schrankkoffern; und hinter sich her zogen sie an den Hörnern festgetäutes Vieh.
    Die Hausknechte, in Westen über den roten Hemden, genossen, nachdem sie ihre Herrschaft auf der Fahrt begleitet hatten, ihre Freiheit und Muße; aufgeräumt und fröhlich standen sie an den Toren.
    Zu Ende war die Wintersaison in Moskau, und ein ganz anderes, sommerliches Leben hatte begonnen.
    Pjotr Afanassjewitsch verzehrte sich in Erwartung der Übersiedlung aufs Land; der kleine Aljoscha, blass vom winterlichen, eingepferchten Leben, hätte längst schon auf dem Gut sein sollen, doch Sascha harrte eisern in Moskau aus, zeigte keinerlei Absichten, abzureisen, hüllte sich in Schweigen oder weigerte sich klagend, die Stadt zu verlassen. Eines schönen Tages im Mai verkündete sie ihrem Mann schließlich entschieden, dass sie um nichts auf der Welt aufs Gut zu fahren gedenke, da alles dort sie allzu sehr an ihre Seelennot erinnere, und fügte hinzu, dass sie, falls Pjotr Afanassjewitsch dies ausdrücklich wünsche, in diesem Jahr allenfalls bereit sei, ein Sommerhaus anzumieten, um dort zu wohnen.
    Dies war ein Schlag für Pjotr Afanassjewitsch, doch er wusste, dass jeglicher Widerspruch zwecklos sei. Überdies war sein gutherziges Wesen außerstande, sich gegen den Willen der Trauernden aufzulehnen, und so begann er beflügelt, ein Sommerhaus in der Umgebung Moskaus zu suchen.
    Schließlich fand er eines, das ihm geeignet schien, und bat Sascha, es zu besichtigen. Widerstrebend willigte Sascha ein und fuhr mit Aljoscha und der Njanja an einem der nächsten Nachmittage, als die Hitze sich bereits gelegt hatte, um sich das Sommerhaus anzusehen, das ihr Mann für sie gefunden hatte.
    «Ist denn der Frühling tatsächlich schon fast vorüber?», dachte Sascha, als sie an den Feldern entlangfuhr und unter jenem einst gekannten, heiteren Gefühl erschauerte, das der Frühling erweckt.«Wo nur bin ich gewesen? Oh, wozu nur diese Ergriffenheit! Steht es mir denn noch an, mich zu

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