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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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nicht jeder, damit war man Teil einer elitären Sekte, und das war gut so.
    Beck hatte sich dem immer verschlossen. Er schwor auf Kolbenfüller und mechanische Schreibmaschine. Ihm war nicht zu helfen.
    Ich hatte nichts gegen Computer, also warum sollte ich etwas gegen Kinder haben!
    Einmal habe ich Tina betrogen.
    Simone war meine Studentin und saß in meinem Seminar »Einführung in die deutsche Geschichte des neunzehnten Jahrhunderts«. Sie war über einen Meter neunzig groß und sehr klug. Eines Tages kam sie in meine Sprechstunde und fragte mich, ob ich nicht auch finde, daß Bismarcks Rolle bei der Reichsgründung 1870/71 überbewertet würde. Sie hätte auch fragen können, ob der Delphin bei »Flipper« nicht überflüssig sei. Ich fragte, ob sie Kaffee oder Tee wolle, und sie sagte: »Tee, ohne Milch und ohne Zucker.« Sie hatte große dunkle Augen und kurze, dunkle Haare, hinter die Ohren gekämmt. Sie hatte einen kleinen Stein in der Nase.
    Ich ging nicht ein auf das, was sie über Bismarck gesagt hatte. Wir besprachen ihr Referatsthema. Sie versprach, sie werde die Arbeit auf jeden Fall noch während der Vorlesungszeit schreiben, zumal sie im Sommer ohnehin keine Zeit habe.
    »Fahren Sie weg?« fragte ich.
    »Nein, ich muß arbeiten. Ich habe eine fünfjährige Tochter.«
    Zwei Tage später traf ich sie auf dem Dozentenparkplatz, wo sie ihr Fahrrad abgestellt hatte. Sie sagte, sie habe noch die eine oder andere Frage zu ihrem Referat, und ob wir uns nicht am Abend auf ein Glas Wein treffen sollten. Ohne nachzudenken, sagte ich ja. Sie hatte mich nicht wirklich gefragt. Ich hatte nicht wirklich an der Supermarktkasse gestanden, hatte nicht wirklich eine Entscheidung treffen müssen. Ich hatte nur ja zu sagen, ihren in Frageform erteilten Befehl bestätigen müssen. Das war leicht gewesen. Und es war ja nichts dabei, mit jemandem einen Wein trinken zu gehen. Und natürlich war doch etwas dabei. Sie war meine Studentin, auch wenn es nicht so wirkte. Ich weiß nicht, was ich mir von dem Abend erwartete. Ich versuchte, nicht daran zu denken. Ich mußte einfach nur hingehen, einfach nur gehorchen. Das war nicht schwer.
    Ich hatte in den letzten Jahren, also eigentlich seit ich mit Tina zusammen war, überhaupt nur sehr selten an der Supermarktkasse gestanden. Alles floß, und die Entscheidungen fällten sich selbst, hatte es den Anschein.
    An diesem Abend fand im Stadion ein Bundesliga-Nachholspiel statt, und ich sagte Tina, ich wolle mal wieder hingehen. Ich sagte, ein junger Wirtschaftshistoriker würde mitgehen, und wir gingen später sicher noch ein Bier trinken. Sie nickte und küßte mich und wünschte mir viel Spaß.
    Es war gar nicht schwer gewesen, sie zu belügen. Ich war selbst überrascht. Es war ganz klar, daß ich ihr nicht die Wahrheit sagen konnte. Es war nichts dabei, mit jemandem ein Glas Wein trinken zu gehen, selbst wenn es eine Studentin war, aber wenn man die Wahrheit sagte, mußte man umständlich beteuern, daß da nichts dabei war. Und warum sollte man sich damit aufhalten, es würde ohnehin nichts passieren.
    Und doch stellte ich mir vor, daß etwas passierte. Aber das waren nur Schreibtisch-Phantasien, eine Art sentimentale Reminiszenz an die Zeit, als solche Phantasien noch etwas Existentielles hatten und einen aus der Bahn werfen konnten. Ich stellte mir vor, Simone würde mich überwältigen, ich würde mich wehren, zwischendurch die Oberhand gewinnen und schließlich wieder unterliegen. Und dann einfach daliegen und sie machen lassen. Und sie nahm sich, was sie brauchte. Das stellte ich mir erregend vor. 
     
    Ich kam zehn Minuten zu früh in die Kneipe, aber Simone war schon da.
    »Ich wollte auf keinen Fall zu spät kommen«, sagte sie. Sie trug ein langes, ärmelloses Kleid. Sie hatte ihre Haare mit Gel nach hinten gekämmt und etwas Lippenstift aufgelegt. Das ganz normale Outfit, wenn man ein wenig über Bismarck diskutieren wollte. Sie erzählte mir von ihrer Tochter. Ich fragte nach dem Vater des Kindes, aber sie sagte, da gebe es nichts zu erzählen, er habe sein Sperma abgeliefert, damit sei sein Job beendet gewesen. »Ich will keine feste Beziehung«, sagte sie. Ich erzählte ihr von Tina, aber das schien sie nicht zu interessieren.
    Nach zwei Stunden Wein und Reden gingen wir zu ihr. Sie lebte in einer kleinen Zweizimmerwohnung. Das eine Zimmer war gleichzeitig Wohn-, Arbeits- und Schlafraum, das andere war das ihrer Tochter. Sie war fünf Jahre alt und schlief. Auf dem

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