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Liegen lernen

Liegen lernen

Titel: Liegen lernen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Frank Goosen
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Vater habe auch geblutet, aber nicht geheult. Das Schlimmste war nicht, daß Mückes Bruder einen Wagen geklaut hatte, sondern, daß er erwischt worden war. Auch Mücke hatte immer geglaubt, sein Bruder könnte nie erwischt werden. Drei oder vier Tage lang war Mücke sehr still gewesen und hatte niemanden beleidigt.
    Als wir vor einem Plattenladen standen und Mücke mich fragte, ob ich mit hineinkäme, sagte ich: »Klar!«, und wir gingen hinein. Ich kaufte mir »Red Skies over Paradise« von Fischer Z. und eine von Barclay James Harvest, die, wo »Hymn« drauf war. Eigentlich wollte ich die gar nicht haben, und Mücke sah mich auch ganz komisch an, aber es tat gut, das ganze Geld auszugeben, ich fühlte mich leidenschaftlich. Dann ging ich nach Hause.
    Zu Hause wärmte meine Mutter mir Linsensuppe auf, obwohl ich sagte, ich hätte keinen Hunger. Ich nahm den Teller mit in mein Zimmer und sah der Linsensuppe beim Kaltwerden zu. Es bildete sich eine dicke Haut auf der Oberfläche. Dann hörte ich erst sehr laut, über Kopfhörer, »Marliese« von Fischer Z. The waiting almost brought me to my knees. Dann ging das Telefon. Meine Mutter nahm ab, sagte »Einen Moment«, kam dann in mein Zimmer und sagte: »Es ist für dich.«
    Es war Britta. Sie fragte, ob wir uns um vier im Raskolnikow treffen könnten. Ich sagte »Ja«, und sie sagte »Toll« und legte auf. Meine Mutter holte gerade den Teller Linsensuppe aus meinem Zimmer, schüttelte den Kopf und sagte »Junge, ach Junge!«
    Ich hörte noch einmal »Marliese«, diesmal ohne Kopfhörer, aber trotzdem sehr laut. Oh Marliese, did you really think that I’d leave you in peace?
    Das Raskolnikow war nach dem Helden von »Schuld und Sühne« von Dostojewski benannt. Das hatte Britta mir am Abend zuvor erzählt. Auch ein Buch, was ich unbedingt mal lesen müsse, sagte sie. Ins Raskolnikow gingen Leute, die meine Mutter noch immer »Hippies« nannte. Man konnte dort auch viele aus der Oberstufe unserer Schule treffen. Es hatte bis tief in die Nacht hinein geöffnet. Mein Vater sagte, da würde mit Drogen gehandelt.
    Ich war pünktlich. Ich war sogar zehn Minuten zu früh da. Ich setzte mich an einen Tisch in der Ecke und wartete. Auf den Holztischen lagen gehäkelte Deckchen und auf den Deckchen standen gläserne Kerzenständer mit weißen Kerzen. Die Kerzen brannten immer, Tag und Nacht. Damit man nicht sah, wie schmutzig die Fenster waren, hatte man Palmen und Ranken und Ficuspflanzen auf die Fensterbank gestellt. Deshalb war es auch ziemlich dunkel im Raskolnikow.
    Ein paar Primaner, die ich vom Sehen kannte, saßen an einem Tisch und aßen Pizza. Am Tresen saß ein Mann in einem langen, bis auf die Knie reichenden Hemd. Er trug keine Hose. Hinter dem Tresen stand ein anderer Mann, mit einem langen, blonden Bart, in den er kleine Zöpfchen geflochten hatte. Er trug eine Latzhose und ein violettes Hemd. Ich wurde nicht beachtet. Niemand kam, um meine Bestellung aufzunehmen.
    Britta kam um zwanzig nach vier, und als sie sich setzte, kam der Mann hinter dem Tresen hervor, begrüßte sie mit einem Kuß auf die Wange und dann fragte er uns, was wir wollten. Britta sagte »Kaffee« und ich sagte »Ich auch«, und der Mann ging wieder hinter den Tresen.
    »Hallo«, sagte Britta.
    »Hallo«, sagte ich.
    Britta sagte, sie finde es prima hier. Ich sagte, ich fände es auch prima hier, ich sei aber noch nie hiergewesen.
    »Echt nicht?«
    »Echt nicht.«
    »Ich komme ständig hierher. Ich mache hier Hausaufgaben, wenn Jutta und Wilfried mir zu sehr auf die Nerven gehen. Oder wenn sie allein sein wollen.«
    »Aha«, sagte ich.
    »Du kannst dir sicher denken, weshalb ich mit dir reden möchte«, sagte sie.
    Ich konnte es mir nicht denken, aber ich sagte »Ja«.
    »Ich fand es gestern sehr schön mit dir.«
    Ich sagte nichts. »Du erinnerst dich doch an gestern?«
    »Klar.«
    »Hast du es irgend jemandem erzählt?«
    »Was denn?«
    »Das gestern.«
    »Nein«, sagte ich.
    »Gut«, sagte Britta und atmete hörbar aus. »Und ich finde, das sollte auch so bleiben. Okay?«
    »Wenn du meinst.«
    »Weißt du, als Schülersprecherin bin ich ohnehin unheimlich exponiert und werde angegafft und das alles. Da hätte ich gerne so eine Sache wie mit dir ganz für mich, verstehst du?«
    »Ja.«
    »Ich hasse es, wenn mich alle anstarren beim Küssen.«
    »Kein Problem.«
    »Ich möchte nicht, daß die Leute über uns reden.«
    »Okay.«
    »Und wenn du dich daran hältst, dann habe ich noch eine ganze

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