Liegen lernen
Menge mit dir vor.«
Ich schluckte. Dann griff sie nach meiner Hand. Ließ sie aber gleich wieder los, als der Mann mit dem Kaffee kam.
Von dem Farbfernseher hatte ich nicht viel. Das Programm bestimmte nach wie vor mein Vater. Irgendwie hatte ich gehofft, das würde sich ändern, jetzt, wo mehr Farbe im Spiel war. Manchmal, wenn mein Vater erst später vom Bahnhof kam, konnte ich die eine oder andere Vorabendserie anschauen. Ich sah zu, daß ich »Hart, aber herzlich« so selten wie möglich verpaßte. Ich bildete mir ein, daß Stephanie Powers ein bißchen aussah wie Britta. Das ging ganz leicht. Dann bildete ich mir ein, daß ich ein bißchen wie Robert Wagner war. Das war sehr viel schwieriger. Die beiden kamen prima miteinander aus, und daß sie so reich waren, war ihnen fast schon peinlich. Und wenn sie im Bett lagen und sie dann das Licht ausmachte und ihn »Seebär« nannte, dann bekam ich manchmal einen Ständer. Die deutsche Stimme von Jennifer Hart war sehr erotisch.
Am liebsten saß ich vor dem Fernseher, wenn ich ganz allein war, das heißt, wenn mein Vater noch bei der Arbeit und meine Mutter einkaufen war. Dann setzte ich mich in den Sessel meines Vaters und legte meine Füße hoch und schaltete mit der Fernbedienung durch die Programme. Durch alle drei. Das dritte war immer ein bißchen undeutlich. Wenn ich meine Mutter kommen hörte, setzte ich mich auf den Dreisitzer, wo sonst niemand saß, und wenn mein Vater nach Hause kam, schaltete ich den Fernseher aus. Abends setzte ich mich manchmal dazu, wenn meine Eltern »Dallas« sahen. Aber alleine war es irgendwie besser. Dann konnte ich es mir gemütlich machen. Wenn meine Eltern dabei waren, saß ich einfach ganz normal auf dem Sofa. Ich fragte meinen Vater mal, wie es mit einem eigenen Fernseher für mich wäre, aber er sagte, der sei nicht nötig. Ich hätte auf einen sparen können, aber dann hätte ich keine Platten mehr kaufen können. Ich hatte die Beatles jetzt ziemlich vollständig und fing an, mich den Solo-Platten von John, Paul, George und Ringo zuzuwenden. Dylan hatte viel mehr Platten gemacht, deshalb war bei ihm noch viel Luft bis zur Vollständigkeit. Dylan war eben alleine und konnte sich nicht trennen.
Mit Britta war es in den nächsten Wochen so: In der Schule kannte sie mich nicht, aber nachmittags konnten wir uns treffen, manchmal auch abends. Manchmal gingen wir im Wald spazieren, und dann durfte ich ihre Hand halten und sie auf die Wange küssen. Einmal drückte ich sie gegen einen Baum und versuchte, ihr meine Zunge in den Mund zu stecken, aber das mochte sie nicht. Sie sagte mir, wann sie meine Zunge gebrauchen konnte und wann nicht. Ich wollte ihre immer.
Ich durfte regelmäßig zu ihr nach Hause kommen. Jutta und Wilfried waren die einzigen, die wußten, daß etwas zwischen uns lief. Britta spielte mir Jacques Brei vor und fragte mich, wie ich den Text fände. Ich hatte in Französisch eine Fünf und das sagte ich ihr auch. Sie sagte, das sei schade.
»Findest du nicht auch, daß diese Musik ganz toll zu einem verregneten Novembernachmittag bei Tee und Kerzenschein und Räucherstäbchen paßt?«
Das hatte nichts mit Französischkenntnissen zu tun, also sagte ich »Ja«.
In ihrem Zimmer galt das, was draußen galt, nicht mehr. Wir lagen auf ihrer Matratze, unter dem Milky-Way-Himmel, und ich lernte richtiges Zungenküssen, und sie knetete meine Hose. Einmal machte ich mir selbst an meinem Gürtel zu schaffen, aber sie schob nur meine Hand weg und sagte, sie wisse schon, was sie tue.
Jutta und Wilfried waren in Ordnung. Sie waren ziemlich viel zu Hause, denn Wilfried war Bildhauer, und Jutta hatte eine Galerie in der Stadt, aber um die kümmerte sich hauptsächlich ihr Geschäftspartner. Sie hatten keine richtige Arbeit, waren aber auch nicht arbeitslos. Das war komisch. Wilfried arbeitete in einem kleinen Anbau, und manchmal hörte ich ihn hämmern und schweißen. Er machte viel mit Metall.
Einmal lag ich mit Britta auf der Matratze, und wir redeten über Weihnachten. Britta sagte, Weihnachten sei nur noch ein sinnentleertes Ritual, ein reines Konsumfestival. Mit Religion habe das nichts mehr zu tun. Allerdings sei Religion ohnehin abzulehnen, das sei Opium fürs Volk, alles Unsinn. Zu Weihnachten würden sich Jutta und Wilfried ein paar Freunde einladen und kräftig einen draufmachen. »Das wird ein Heidenspaß«, sagte sie. Ich könnte auch kommen, wenn ich wollte. Ich sagte, das müsse ich erst mit meinen
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