Life - Richards, K: Life - Life
bestellen konnte. Auf diese Weise kam auch Lee Harvey Oswald zu seiner Knarre.
Normalerweise wurde diese Banjo-Stimmung fürs Slide- oder Bottleneck-Spiel benutzt. »Offene Stimmung« bedeutet einfach nur, dass die Gitarre auf einen vorgegebenen Dur-Akkord gestimmt wird - aber natürlich gibt es da einige gravierende Unterschiede. Ich hatte mit offenem D und offenem E gearbeitet. Dann hörte ich, dass Don Everly, einer der besten Rhythmusgitarristen überhaupt,
für »Wake Up Little Susie« und »Bye Bye Love« eine offene Stimmung benutzte. Er machte einfach einen Barré-Griff mit einem Finger quer über die Saiten. Ry Cooder war der Erste, den ich tatsächlich den offenen G-Akkord spielen sah - vor ihm ziehe ich meinen Hut. Er hat mir die Stimmung zum offenen G gezeigt. Aber er benutzte sie nur für Slide und hatte immer noch die tiefste Saite zur Verfügung. Die meisten Bluesmusiker verwenden offene Stimmungen ausschließlich dafür. Für mich war das eine zu große Einschränkung. Ich fand, dass die tiefste Saite störte. Nach einer Weile bekam ich raus, dass ich sie gar nicht brauchte; sie verstimmte sich bloß dauernd und passte nie zu dem, was ich spielen wollte. Also nahm ich sie ab und benutzte die fünfte Saite, die A-Saite, als Grundton. Jetzt brauchte ich mir keine Sorgen mehr zu machen, dass ich aus Versehen die sechste Saite mit anschlug und dann Töne entstanden, die ich gar nicht haben wollte.
Ich fing an, Akkorde in offener Stimmung zu spielen - für mich ein völlig unbekanntes Terrain. Man ändert eine Saite, und plötzlich hat man ein komplett neues Universum unter den Fingern. Alles, was man zu können glaubte, ist mit einem Schlag für die Katz. Niemand hatte daran gedacht, Moll-Akkorde bei offener Dur-Stimmung zu spielen, weil man da wirklich erst mal ziemlich mit den Fingern tricksen muss. Du musst alles neu durchdenken, als wäre dein Klavier verkehrt herum gestimmt und die schwarzen Noten wären weiß und die weißen schwarz. Du musst also nicht nur die Gitarre neu stimmen, sondern auch den Kopf und die Finger. Sobald du eine Gitarre oder irgendein anderes Instrument auf einen Akkord gestimmt hast, musst du dir alles Weitere selbst ertasten. Du hast das Reich der normalen Musik verlassen. Jetzt bist du auf dich selbst gestellt.
Die Schönheit, die Erhabenheit einer fünfsaitigen offenen G-Stimmung auf der elektrischen Gitarre liegt darin, dass man nur
drei Töne hat, die anderen wiederholen sich mit einer Oktave Abstand. Man stimmt GDGBD. Bestimmte Saiten klingen den ganzen Song über mit, so dass man die ganze Zeit so ein Hintergrunddröhnen hat, und weil es eine elektrische Gitarre ist, hallt es lange nach. Nur drei Töne, aber aufgrund der verschiedenen Oktaven füllen sie das ganze Frequenzspektrum zwischen Bässen und Höhen aus. Man erhält diese schöne Resonanz, dieses Klingeln. Beim Arbeiten mit offenen Stimmungen habe ich bemerkt, dass es eine Million Stellen auf dem Griffbrett gibt, an die man seine Finger gar nicht mehr zu setzen braucht. Die Töne sind nämlich bereits da. Bestimmte Saiten kann man ganz offen mitklingen lassen. Man muss die Räume dafür finden, dann funktionieren die Open Tunings. Und wenn du den richtigen Akkord triffst, kannst du den anderen dahinter mithören, den du gar nicht spielst. Er ist da. Es ist gegen jede Logik. Aber er liegt einfach so da und sagt: »Leck mich doch.« Und in der Hinsicht ist es das altbekannte Klischee: Was zählt, ist das, was man weglässt. Lass den Ton stehen, bis er mit dem nächsten eine Harmonie bildet. Und obwohl du danach umgreifst, klingt der Ton immer noch mit. Du kannst ihn sogar einfach im Raum stehen lassen. Man nennt das »Drone«. Na ja, jedenfalls nenne ich das so. Die Sitar funktioniert so ähnlich - auf dem Prinzip der mitschwingenden Resonanzsaiten. Von der Logik her dürfte es gar nicht funktionieren, aber wenn du spielst und der Ton klingt immer weiter, obwohl du den Akkord gewechselt hast, dann merkst du, dass das der Grundton ist. So läuft das mit dem Drone.
Es hat mich unheimlich inspiriert, das Gitarrespielen völlig neu zu erlernen. Das hat mir wieder richtig Kraft gegeben. In gewisser Weise war es wie ein anderes Instrument, und zwar ganz buchstäblich. Die Fünf-Saiten-Gitarre musste ich mir eigens anfertigen lassen. Ich wollte nie so spielen wie irgendjemand sonst, außer am
Anfang, als ich Scotty Moore sein wollte oder Chuck Berry. Danach wollte ich rausfinden, was die Gitarre oder das Klavier mir
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