LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition)
ertrunken war, stellte sich überdies die Frage, ob er überhaupt weg konnte. Trotzdem … Er musste die Flucht zumindest versuchen. Noch konnte er atmen.
Evan arbeitete sich durch das Wasser langsam am finsteren Deck des verwitterten Schiffsrumpfs entlang. Ihm wurde klar, dass es wahrscheinlich dasselbe Wrack war, auf das Bill letzten Monat bei seinem Tauchgang vor der Felsnadel gestoßen war.
Auf Zehenspitzen schlich er sich in einer surrealen Zeitlupe immer weiter von Ligeia weg. Er begriff nicht, wieso er atmen konnte, und die Panik, sich unter Wasser zu befinden, setzte ihm so massiv zu, dass er am liebsten einfach zu Boden gesunken wäre, um laut loszuheulen. Doch Evan riss sich zusammen und ging weiter.
Nicht stehen bleiben, darauf kam es jetzt an. Manchmal übertrumpfte das Leben – und die Furcht, es zu verlieren – alle anderen Ängste. Er musste hier raus und es irgendwie nach Hause schaffen. Er musste zu Sarah, die mittlerweile zweifellos nach Hause zurückgekehrt war und rätselte, wo er blieb.
Schritt für Schritt spazierte er das Deck entlang und spähte durch die Löcher im Schiffsrumpf hinaus auf den Nachthimmel über dem Ozean. Rings um ihn kräuselten sich überall dunkle Schatten, trotzdem ging er weiter und fand seinen Weg, indem er stur der Reihe verfaulter Planken folgte. Sie führten ihn zu einer Art Teeküche. Auf einer Arbeitsplatte stapelten sich wahllos Teller und Schüsseln, aus denen Seetang wucherte, der sich in der leichten Dünung wiegte. Es sah aus, als werde er hier als Topfpflanze herangezüchtet. Neben umgekippten quadratischen Tischen lag eine Handvoll Stühle auf dem Boden. Evan ging an ihnen vorbei. Im selben Augenblick sah er die Leichen.
In der letzten Nacht war er rasch an ihnen vorbeigestreift, und die mitternächtliche Finsternis mehrere Meter unter den Meereswogen hatte nicht gerade dazu beigetragen, Details aus den Schatten zu schälen. Doch nun brach irgendwo über ihnen die Morgendämmerung an und das schwache Licht erhellte den kleinen Raum.
Nun konnte er die Fleischfetzen sehen, die von den Leichen herunterhingen und im sanften Schaukeln der Strömung wie Papiertaschentücher flatterten. Evan trat näher und nahm das Gesicht eines Leichnams genauer in Augenschein – ein Mann. Bläulich schwarze Bartschatten zogen sich vom Kinn hin zu einem ausgefransten Loch, das ihm Zähne in Hals und Schulter gerissen hatten. Evan starrte auf das geschändete Fleisch und fragte sich, was sich wohl so derart ihn hineingefressen hatte. War er von einem Hai angegriffen worden, und Ligeia hatte ihn hier abgelegt, um ihn zu beerdigen? Oder hatte sie ihn hergeschafft und er war von den Fischen angenagt worden?
Evan weigerte sich, an das Offensichtliche zu denken.
So lange, bis es sich ihm mit Gewalt aufdrängte. Er passierte die Toten und ihre vor sich hin gammelnden Knochen, bis er auf den von Bisswunden entstellten, nackten Leichnam einer Frau stieß. Ihre Bauchdecke war gewaltsam geöffnet worden, die Eingeweide fehlten. Durch die Haut, die direkt hinter dem Rand ihres Brustkastens flatterte, zeichneten sich die gelblichen Knochen ihres Rückgrats ab. Ihr Hals war größtenteils verschwunden, die Augen aufgefressen. Aus leeren, blutlosen Höhlen starrte sie zur Sonne hinauf, die sie nie wieder sehen würde.
Schaudernd trat Evan an ihr vorbei, um sich mit einer weiteren Leiche konfrontiert zu sehen, diesmal einem Mann. Auch er war zur Hälfte verspeist worden. Evan schluckte, als er dort, wo einst das Geschlechtsteil des Mannes hervorgeragt haben musste, nur ein fleischfarbenes Loch sah – einen Tunnel aus aufgewühltem, schwach rosafarbenem Fleisch, der unter der behaarten Haut nach oben in die Leere des ausgehöhlten Bauchs führte. Unter anderem fehlten dem Leichnam die Lippen. Evan musste wegschauen. Die Bilder, die sich ihm aufdrängten, waren zu erschütternd.
Sein Blick wanderte zur nächsten Leiche. Sie empfing ihn mit den langen, geschwungenen, immer noch sexy wirkenden Schenkeln, einem noch unversehrten Bauch und den begehrenswerten Brüsten und leicht matten Wangen und Augen einer Frau, die er womöglich besser kannte als sich selbst.
Er starrte Sarah ins Gesicht.
»Neeeeiiin!«, brüllte er und schmeckte nur das Salz des Meeres. Von seinem Schrei war nichts zu hören. Evan zog sie von der Leiche, auf der sie lag, herunter und wiegte sie sanft in den Armen. Sie war hundertprozentig und ohne jeglichen Zweifel tot.
Seine Sarah war tot.
Ebenso sicher, wie ihn
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