LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition)
zusammengetragen, in manchen Fällen drei oder vier auf einem Haufen. Sie waren verwest und im fortgeschrittenen Zerfall begriffen, sodass sich unmöglich definieren ließ, wo ein Leichnam endete und der nächste begann. Lediglich eines stand fest: Hier unten lagen mehr Leichen herum als auf so manchem Dorffriedhof!
Dann tauchte unvermittelt ein Leichnam vor ihnen auf, aus dessen Schädel trotz vertrocknetem Fleisch noch ein schwarzes Haarbüschel spross. Gleich dahinter streckten sich Knochenfinger zur Decke empor. Die Fingerspitzen waren blass, doch Evan konnte sehen, dass stellenweise noch Hautfetzen an den dünnen, halb angefressenen Armknochen hingen.
Vor ihnen wiegten sich dichte Tangwedel im Wasser, doch als Ligeia hindurchschwamm, empfing sie ein Stapel weiterer Leichen in unterschiedlichen Stadien der Verwesung. Die unteren in diesem makabren Unterwasserfriedhof bestanden nur noch aus Gebeinen. Aus den oberen schien das Leben noch nicht so lange gewichen zu sein. Als sie über einen Korpus hinwegglitten, hätte Evan schwören können, dass sich eine zähflüssige Blutwolke aus der Brust des Toten löste.
»Ligeia, wer sind diese ganzen Leute?«, fragte er schließlich.
Die Sirene gab ihm keine Antwort.
Stattdessen schwamm sie mit ihm im Schlepptau tiefer ins Schiff hinein und gelangte in einen Raum mit einem halben Dutzend Kojen, die wie Raumteiler aus der Seite des Rumpfs herausragten. Sie schwamm um eine von ihnen herum, und im schwachen Licht, das durch die Öffnungen der verwitterten Holzbretter hineinsickerte, konnte Evan vage ein Durcheinander aus zerwühlten grünen Laken und Decken ausmachen, die in der Krümmung der Koje auf der einstigen Steuerbordseite bereitlagen. Sie bettete ihn auf eines der zerknüllten, nassen Polster und ließ ihren Körper auf seinen sinken. Ihre Augen schienen ihn durchbohren zu wollen, während sie ihn hier, auf dem Grund des Ozeans, in ihrem eigenen Bett festhielt.
»Jetzt bist du zu Hause«, erklärte sie. Evan hätte schwören können, dass ihre Stimme von außerhalb kam und keineswegs aus seinem Innern.
Er schüttelte den Kopf in stummem Protest, doch dann erscholl ein Laut, der so wunderschön war, so warm, dass seine Worte verstummten, noch bevor er sie überhaupt artikulieren konnte. Erneut hallte ihr Gesang in seinem Kopf wider, sie sang von unsterblicher und endloser Liebe. Von Schönheit und Traurigkeit. Von Tagen voller Einsamkeit, die sich zu Monaten, Jahren und Jahrhunderten ausdehnten. Schließlich wandte ihr Lied sich dem niedrigeren Thema Lust zu, und Evan merkte, wie er prompt darauf reagierte. Ligeia setzte sich mit gespreizten Beinen auf ihn und schlang von Algen glitschig gewordene Decken um sie herum. Seine Zunge glitt zusammen mit Resten von Salzwasser in ihren Mund hinein.
In seinem Kopf verwandelte sich ihr Lied von Lust zur Selbstsucht. Immerfort schien es zu flüstern: »Er gehört mir. Mir. Nur mir!«
Passend zu ihrem Lied schien es, als wolle sie nicht mehr von ihm ablassen. Als sie schließlich mit ihm fertig war, hatte Evan dreimal die Säfte seiner Lust verschossen. Seine Hüfte schmerzte vor Anstrengung, obwohl sie fast die gesamte Arbeit geleistet hatte. Ihr lieblicher Sopran wisperte ihm ein Schlaflied ins Ohr. Es dauerte nur Sekunden, dann schloss Evan die Augen und arrangierte sich mit der Dunkelheit, welche die alte Mannschaftsunterkunft bis in sein Inneres erfasste. Er schlief und fing ironischerweise in der lautlosen Strömung der Bucht an, zu schnarchen.
Der Raum, in dem Evan wieder zu sich kam, lag in Schatten gehüllt. Schatten und eine merkwürdige Form von Schwerkraft. Er spürte, wie seine Arme sich nahezu von selbst bewegten. Sein Körper fühlte sich zugleich schwach und schwer an. Wie flüssig und doch fest verankert. Klar, er hatte sich mit Bill kräftig die Kante gegeben, aber so besoffen war er nun auch wieder nicht gewesen. Jäh kehrte sein Erinnerungsvermögen zurück. Wie er in seinem eigenen Bett mit Ligeia Liebe gemacht hatte. Wie er durch den Garten vor ihr davongerannt war. Er dachte an die Leichen am Grund des Wracks. Ligeia, wie sie direkt über ihm in den zerwühlten Laken ihres nassen Bettes auftauchte …
Scheiße! Evan wandte den Kopf, und seine Augen weiteten sich. Das war eindeutig nicht sein Schlafzimmer. Was er sah, war im Grunde unmöglich.
Dicht und düster braute sich die Luft um ihn herum zusammen. Schatten tauchten die Umgebung in ein düsteres Licht. Je länger Evan hinstarrte, desto
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