LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition)
nickte seinem Freund im schwachen Schein von dessen Lampe zu. »Los geht’s!«
Vicky Blanchard konnte nicht schlafen. Hatte sie Angst, wegen Evan wieder Albträume zu bekommen? Sie wälzte sich im Bett hin und her, trat die Laken beiseite und zog sie wieder glatt, um sich dann in Fötushaltung unter der warmen Decke zu vergraben. Etwas an Evans Situation beunruhigte sie zutiefst. Sie fand einfach keine Ruhe; und wenn Vicky dieses unruhige Kribbeln im Bauch und in den Beinen spürte, gab es eigentlich nur zwei Erklärungen: entweder eine Überdosis Koffein oder ihr sechster Sinn, der sie vor einer drohenden Gefahr warnte.
Am heutigen Tag hatte Vicky nicht eine einzige Tasse Kaffee getrunken.
Mit einem langen, verärgerten Seufzen stieg Vicky aus dem Bett und schlüpfte in eine Jogginghose. Sie wünschte, entweder wirklich hellsehen zu können oder nicht ständig von ihrem Gehirn gequält zu werden. Sie hasste das Gefühl, nichts ausrichten zu können, bis es zu spät war und der Grund für ihre Unruhe offenkundig wurde. Wenn es sie derart packte, fand sie keine Ruhe mehr, bis sie wusste, was los war.
Sie zog sich eine leichte Jacke über und verließ das Haus, um einen Spaziergang zu unternehmen. Es half ihr manchmal, den Kopf frei zu bekommen. Vielleicht würde die Bewegung sie so sehr erschöpfen, dass sie noch ein bisschen Schlaf fand.
Sie lenkte ihre Schritte von der Stadt weg und passierte schon nach wenigen Minuten das Sand Trap, in dem noch Hochbetrieb herrschte. Sie spielte kurz mit dem Gedanken, in die Kneipe zu gehen, aber ihr war nicht wirklich nach Gesellschaft zumute. Außerdem hatte sie keine Lust, zufällig Patienten zu begegnen, die ihre Probleme im Alkohol ertränkten. Es gab nichts Schlimmeres, als der Lebensbeichte eines Betrunkenen zu lauschen.
Vicky schlenderte weiter den Dünenpfad hinauf, bis sie die Bucht schwarz vor sich schimmern sah. Sie fröstelte unter dem kühlen Wind, der vom Meer heranwehte. Mit raschen Schritten watete sie durch den Sand und streifte, als sie den flachen, karstigen Strand erreichte, ihre Schuhe ab.
Ihr war, als hätte sie unten am Wasser eine Bewegung wahrgenommen. Sie verlangsamte ihre Schritte, weil sie niemanden ungewollt überraschen wollte. Als sie sich Gull’s Point näherte, wurde klar, dass sie sich geirrt haben musste. Da war niemand. Denkbar, dass eine am Himmel vorbeiziehende Wolke einen Schatten geworfen oder sie aus dem Augenwinkel einen Nachtvogel erspäht hatte.
Kurz vor der lang gestreckten Landzunge, die Gull’s Point bildete, blieb Vicky stehen und ließ ihren Blick am schweigenden Felsmassiv entlang bis zum sanften Wogen der Brandung schweifen.
Sie dachte an Evan und seine Behauptung, hier Nacht für Nacht einer Frau begegnet zu sein. Einer Frau, die allem Anschein nach aus dem Meer kam. Und durchaus als die sagenumwobene Sirene von Delilah durchgehen konnte. Der Gedanke bescherte ihr eine Gänsehaut. Sie schüttelte entschlossen den Kopf.
Nein.
Vicky hielt nichts von solchen Legenden. Meistens hatten sie mit der Realität nichts zu tun, sondern eher mit unerfüllten Wünschen derer, die sie erzählten. Sie fragte sich, ob Evans Wahnvorstellungen ihm lediglich halfen, den Betrug an seiner Frau zu rechtfertigen. Oder ob – was ihr weitaus mehr Sorgen machte – seine Angst vor dem Wasser in Selbstmordabsichten mündete und ein Foto von Evans Leiche, wie sie mit dem Gesicht nach unten im Wasser trieb, in einem Polizeibericht landete.
Sie hob eine Muschel auf und schleuderte sie ins Meer. Der Wind frischte auf, und nach ein paar Minuten wandte sie sich vom Wasser ab und machte sich auf den Rückweg in die Stadt.
Wenige Minuten früher wäre sie Zeugin geworden, wie Bill und Evan an derselben Stelle, an der ihre Muschel versank, in die dunklen Wellen hinabtauchten. Vickys sechster Sinn funktionierte hervorragend … er hatte lediglich nicht früh genug angeschlagen.
In ihrem Rücken glitten Bill und Evan tief unter den Wogen lautlos in das Innere eines gesunkenen Schiffes.
41
12. Juni 1887, 1:57 Uhr
Kapitän Buckley spürte ein Stechen in der Brust und vermochte nicht zu sagen, ob es durch Furcht oder Wut hervorgerufen wurde. Seine Hände fühlten sich eiskalt und spröde an. Er massierte sie, um den Blutkreislauf anzuregen, und schlich um die Kisten im Laderaum. Seine Füße schlitterten über etwas Glitschiges. Ohne hinzusehen, wusste er, dass es sich um eine Blutlache handelte. Das Blut seiner Männer.
Verdammt noch mal! Seine
Weitere Kostenlose Bücher