LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition)
sie in der Nähe war. Und nun drang er in ihr Reich ein, um sie zu töten. Dennoch fiel es ihm leichter, diesen ihm verwehrten Ort zu betreten, wenn er ihr Bild vor seinem geistigen Auge heraufbeschwor. Immerhin hatte ihr Bann den Würgegriff des Meeres gebrochen. Nun schöpfte er aus der Erinnerung die Kraft, es wieder zu tun. Er benutzte sie, um sich die Kraft zu holen, sie zu töten. Es war verrückt, aber es funktionierte.
Irgendwie zwang Evan seine Füße dazu, Bill zu folgen. Schritt für Schritt hielten sie auf die Brandung zu.
Evan wäre fast das Herz stehen geblieben, als seine Gesichtsmaske unter die Oberfläche tauchte. Doch zum ersten Mal in seinem Leben – zum ersten Mal war er ohne fremde Hilfe dazu in der Lage, ohne Salzwasser zu schlucken oder beinahe zu ertrinken.
Diesmal verschwendete er kaum einen Gedanken daran. Er war fest entschlossen und hatte ein Ziel vor Augen – die Herrin des perversen Unterwasserfriedhofs zu stellen, die seine Frau auf dem Gewissen hatte.
Ligeia.
Ungeachtet der Sicherheit seiner Tauchmaske und des Zischens der Sauerstoffflasche holte Evan tief Luft und ließ seinen Kopf endgültig unter die Wogen gleiten.
39
11. Juni 1887, 0:59 Uhr
Die Mannschaftsunterkunft lag verlassen da. Aus Cauldrys Koje hing eine zerknüllte Decke. Buckleys pedantische Seite machte sich eine Notiz, mit dem Seemann ein ernsthaftes Gespräch über Reinlichkeit zu führen. Das Bett eines Mannes war nämlich ein Spiegelbild seiner geistigen Ausgeglichenheit. Wenn es um Leben und Tod ging, konnte man nicht auf jemanden zählen, der sein Bettzeug nicht in Ordnung hielt. Das zeugte nämlich davon, dass er sorglos war. Was den Kapitän betraf, war jeder Tag auf See ein Kampf auf Leben und Tod. Wenn man nicht aufpasste, wurde man von der Tiefe verschlungen.
Langsam streifte Buckley durch das Innere des Schiffes. Ihm war klar, dass Ligeia überall, in jedem Schatten, lauern konnte. Ein Teil von ihm liebte sie, aber er traute ihr ganz und gar nicht. Er wusste, was sie einem Mann antun konnte. Er hatte ihre kräftigen Kiefer mehr als einmal in Aktion erlebt, und im Anschluss hatte er die Leichen von Männern entsorgen müssen, die über weitaus mehr Körperkraft verfügten als er selbst. Wenn die ihrem entfesselten Hunger schon nichts entgegensetzen konnten, wie sollte es ihm dann selbst gelingen? Zwar erlag er nicht ihrem Gesang wie die anderen, aber er fürchtete die Macht und Brutalität, die von ihr ausging, trotzdem.
Der Kapitän trat auf Planken, die unter seinem Gewicht knarrten. Vor allem aber knarrten sie, weil das Schiff vom Sturm auf dem Wasser hin und her geschleudert wurde. Seine Instinkte trieben ihn an, sich zu beeilen, zuzusehen, dass er wieder an Deck und ans Ruder kam. Sein Rückgrat jedoch beharrte darauf, dass er sich wie ein Dieb durch die Eingeweide seines Schiffes schlich. Er wollte sie überraschen, nicht umgekehrt von ihr überrascht werden.
Mit der Laterne auf Gesichtshöhe ging Buckley in den aus allen Nähten platzenden Laderaum. Gespenstisch flackerten vor der hölzernen Wand die düsteren Schatten der Schnapskisten auf. Ihm war bewusst, dass das Licht ihn frühzeitig ankündigte. Aber ohne Laterne hätte er sich nie in den stockfinsteren Frachtbereich gewagt.
Am Eingang blieb er stehen und beobachtete, wie der orangefarbene Schein über die Latten der Holzkisten huschte. Buckley hielt Ausschau nach Anzeichen von Bewegung am Rand der Kistenreihen. Zweimal zuckte er jäh zusammen, als die Schatten selbst unruhig zu werden schienen. Er begriff jedoch rasch, dass lediglich die schlechten Lichtverhältnisse seinen Sinnen einen Streich spielten.
Ligeia war nicht hier. Und falls doch, dann verbarg sie sich irgendwo im hinteren Teil, völlig ruhig und reglos. Er fand sich damit ab, dass er durch den ganzen Laderaum gehen und in jeden Spalt hineinspähen musste, um sich zu vergewissern, dass sie nicht dort versteckt war. Obwohl er sich anfangs erfolgreich eingeredet hatte, dass sie längst nicht mehr hier war, verweigerten seine Füße ihren Dienst.
Etwas Kühles tropfte ihm auf die Wange. Geistesabwesend wischte Buckley es weg. Er hielt die Lampe ein Stück weit von sich entfernt, damit die Schatten Zentimeter um Zentimeter vor ihm zurückwichen und der Lichtkegel jeweils um die Ecke des nächsten Kistenstapels fiel.
Ligeia war nirgendwo zu sehen.
Erneut tropfte ihm etwas auf die Stirn. Diesmal schaute er nach oben. Das Unwetter mochte schlimm sein, aber es konnte
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