LIGEIA - Ein erotischer Horrorthriller (German Edition)
ist doch klar, wie lächerlich das klingt, oder?«
Bill zuckte die Achseln. »Auch nicht lächerlicher als die Geschichte von einem Mann, der unter Aquaphobie leidet und ausgerechnet ins Meer schlafwandelt, um einer splitternackten Tussi hinterherzulaufen. Ich meine, mal ehrlich, Evan.«
»Die Musik hat mich eingelullt …«
»Genau! Und was tun Sirenen?«
»Vergiss es!« Evan schüttelte den Kopf. »Du wirst mich nicht davon überzeugen, dass diese Frau in Wahrheit ein Ungeheuer aus der Märchenwelt ist. Die ganze Situation war ein bisschen seltsam, zugegeben, und sie hat eine wunderschöne Stimme. Aber damit hört es auch schon auf!«
Bill zuckte die Achseln. »Wie du meinst!«
Einen Augenblick lang schwiegen die beiden. Dann lachte Bill laut auf. »Okay, du hast gewonnen.«
»Was redest du da?«
»Die Sache mit der Sirene. Guter Versuch, du hast mich ganz schön aus der Reserve gelockt – aber jetzt komm schon. Hör auf, drum herum zu reden und erzähl mir, was da unten am Strand wirklich passiert ist. Willst du mir auf die Art beichten, dass du was mit einer anderen Frau hast?«
»Nein …«
Bill zuckte erneut die Achseln. Sein Gesichtsausdruck wirkte vollkommen offen, verständnisvoll, mitfühlend. »Ich könnte es nämlich verstehen. Ich weiß, dass du Schwierigkeiten mit Sarah hast, seit … seit dem Unfall. Aber im Ernst, Evan, ich glaube nicht, dass …«
»Nein, ich gehe nicht fremd«, beharrte Evan. »Ich habe mir die Geschichte nicht ausgedacht.«
»Okay.« Sein Freund klang nicht endgültig überzeugt. Stattdessen wechselte er abrupt das Thema. »Glaubst du, die 49ers werden es in dieser Saison endlich schaffen?«
»Klar«, meinte Evan. »Warum nicht?« Er bestellte ein neues Bier und redete nicht weiter über die unbekannte Meeresschönheit.
9
Es war so geübt darin, in einer Situation genau das Falsche zu tun, dass darin ein gewisser Trost lag – so jedenfalls betrachtete Evan die Angelegenheit. Nacht für Nacht ging er am Strand spazieren. Nacht für Nacht klebte ihm der Sand zwischen den Zehen und Nacht für Nacht wurde ihm klar, dass er sich eigentlich nur im Weglaufen übte. Darin war er wirklich gut.
Dabei wusste er selbst, wie wichtig es war, nach vorne zu schauen … Abstand zu gewinnen von der Existenz, die er sich in all den Jahren gemeinsam mit Sarah aufgebaut hatte, und ein neues Leben zu beginnen, das nichts mehr mit Josh zu tun hatte. Aber … er konnte sich nur schwer vorstellen, sämtliche Verbindungen zu kappen, auch wenn sein Verstand ihm noch so sehr einredete, dass es das Richtige war. Stattdessen lief er durch den Sand, für den weder Evan noch Josh oder Sarah eine Rolle spielten … Sand, der dem Ansturm Hunderttausender Fluten getrotzt hatte. Sand, dem es völlig egal war, ob Evans Sohn hier gestorben war, ob er am Strand gefickt oder geschlafen hatte … Es spielte für ihn einfach keine Rolle.
Für Evan hingegen schon. Er wollte eine Verbindung zu den Orten spüren, an denen sein Sohn sich aufgehalten … die er gemocht hatte. Also ging er wieder und wieder am Strand spazieren. Mitunter schien es, als habe sich die ganze Welt gegen sie verschworen. Und manchmal war es einfach der Lauf der Dinge. Heute Abend zum Beispiel ging er an der Tide entlang und stellte sich vor, wie sein Sohn draußen in der Brandung surfte. Auf dem Brett war Josh wie ein Fisch ganz in seinem Element gewesen. Er konnte sich wie kein Zweiter auf den Wellen drehen.
Evan hatte seinem Sohn oft zugesehen und die Selbstverständlichkeit, mit der er sich auf dem Wasser bewegte, bewundert. Er wünschte, er könnte das auch; für ihn war es, als beobachte er einen Vogel beim Fliegen. Die Bewegung wirkte so natürlich und doch wie Zauberei.
Beim Gedanken an Josh draußen auf den Wellen hätte Evan am liebsten geweint, doch er schlenderte einfach weiter am Strand entlang. Floh vor seinen Erinnerungen. Vor Sarah. Vor der Furcht, dass er vielleicht, nur vielleicht, etwas hätte tun können, um alles ungeschehen zu machen. Noch immer blitzten Fragmente des tragischen Unglücks vor seinen Augen auf …
Er erspähte den schwarzen Schatten von Gull’s Point vor sich und schüttelte den Kopf. Heute Abend würde er nicht singen. Er hatte nicht vor, die fremde Frau zu locken, die ihn seit ein paar Nächten völlig durcheinanderbrachte.
Evan hob einen Stein auf und schleuderte ihn seitwärts, leicht angeschrägt, damit er über die Wellen hüpfte. Ein-, zwei-, dreimal kam er auf und verschwand in den
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