Light & Darkness
Handrücken über die Nase.
»Möchtest du mir erzählen, was zwischen dir und Dante passiert ist?«, fragte Jude, ohne sie anzusehen. Sein Blick folgte einer Frau im roten Mantel, die einen Kinderwagen an ihnen vorbei schob. Schließlich lächelte er Light freudlos an. »Egal was es ist, ich werde es niemandem verraten, nicht einmal Kane. Versprochen.«
Light bückte sich, hob eine Kastanie auf und ließ sie wieder fallen. »Ich kann nicht. Die Worte auszusprechen macht es realer.«
»Deine Gefühle machen es real. Versuch es. Sag mir, was passiert ist«, forderte Jude, ohne sie zu drängen. Seine Hand lag noch immer tröstend auf ihrer Schulter. Es schien so einfach ihm die Wahrheit zu sagen und Light wünschte sich, es wäre ebenso einfach ihm zu vertrauen. Mit tiefem Bedauern rutschte sie von ihm weg. Seine Hand glitt von ihrer Schulter. »Ich möchte wirklich nicht darüber sprechen. Lass uns Kane holen und nach Hause gehen. Ich muss Dr. Melay noch anrufen und die Revuestunde für Morgen absagen.« Light zog den Reißverschluss ihrer Jacke bis unters Kinn, um die kalte Luft abzuwehren. Ohne ein Wort folgte Jude ihr bis zum Café. Erst wenige Meter davor brach er das Schweigen. »Ich hoffe, du weißt, was in zwei Tagen ist.«
Light schürzte die Lippen. »Freitag?«
»Freitag, der …« Mit einer Geste deutete Jude ihr weiterzusprechen.
Ahnungslos schüttelte Light den Kopf. »Freitag, der … Weihnachtsmarkt«, platze es aus ihr heraus. »Der 06. Dezember. Familienausflug zum Weihnachtsmarkt. Wie konnte ich das vergessen?«
»Du hattest andere Dinge im Kopf«, tröstete Jude sie. »Aber ich hoffe, du weißt, was das heißt.«
Drei Meter vor der Eingangstür blieb Light stehen. »Das glaubst du nicht wirklich, oder?«
Mitfühlend verzog Jude das Gesicht. »Doch, genau das glaube ich. Mum wird nicht ohne Dante auf diesen Markt gehen. Vielleicht macht sie eine Ausnahme, wenn du ihr erzählst, was wirklich zwischen euch passiert ist. Eine andere Chance sehe ich nicht.« Jude hatte Recht. Ihre Mum liebte den gemeinsamen Besuch des Weihnachtsmarktes. Es war eine Tradition. Jedes Jahr am 06. Dezember gingen sie alle gemeinsam auf den Markt, um dort die Weihnachtssaison einzuläuten. Am Wochenende danach wurden Plätzchen gebacken und ein Baum aufgestellt, der exakt bis zum 06. Januar stehen blieb.
»Ich werde ihn später anrufen«, sagte Light kleinlaut. Ihr gefiel die Idee nicht, denn alleine von dem Gedanken mit Dante zu sprechen zog sich alles in ihr zusammen. Es war, als versuche ihr Körper die Idee abzustoßen, aber sie hatte keine andere Wahl. Denn die Vorstellung mit ihrer Mum darüber zu reden, was passiert war, war noch weitaus schlimmer, als Dante anzurufen.
Es klingelte. Light presste den Hörer so fest gegen ihr Ohr, dass es schmerzte. Sie hatte das Gespräch mit Dante so lange wie möglich hinausgezögert. Es war Donnerstagabend und spätestens in 24 Stunden musste er vor der Tür stehen, um mit ihnen den Weihnachtsmarkt zu besuchen. Bei dieser Vorstellung wurden Light die Knie weich und sie musste sich setzen. Ihr Bett hatte sie frisch bezogen, denn sie konnte den Geruch, den Dante hinterlassen hatte, nicht ertragen.
Nervös fuhr sie mit den Fingern über den flauschigen Stoff, der sie selbst in den kältesten Winternächten warmhielt. Das Freizeichen ertönte ein weiteres Mal und erschütterte Light bis ins Mark.
»Wenn ich das Handy zwanzig Mal klingeln lasse, ohne abzuheben, heißt das entweder ich bin nicht da oder ich möchte nicht mit dir sprechen. Ist das so schwer zu verstehen?« Es dauerte einen Augenblick bis Light realisierte, dass Dante endlich abgenommen hatte.
»Ich hatte keine andere Wahl«, sagte Light mit einer ruhigen Stimme, die sie selbst überraschte und ermutigte weiter zu sprechen. »Morgen ist der 06. Dezember, an diesem Tag gehen wir immer auf den Weihnachtsmarkt. Ein Familienausflug. Du musst kommen.«
Dante antwortete nicht und Light konnte sich auf die Geräusche im Hintergrund konzentrieren. Es hörte sich an, als wäre er in einer Bar. Musik, die noch schrecklicher klang als die, die er sich sonst anhörte, vibrierte im Hintergrund. Leute lachten und schrien durch die Gegend, wie Light es nur aus den alten Filmen kannte, die ihr Dad so gerne schaute. Eine Meute betrunkener Seeräuber. Ob Dante einer von ihnen war? Ein betrunkener Censio?
»Sag mir einen guten Grund, wieso ich mitgehen sollte?«, zischte er in den Hörer. Er schluckte etwas und ächzte auf,
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