Light Dragons
die Stirn. Die Kopfschmerzen, die ich davon bekommen hatte, dass die beiden Drachen sich in der letzten Stunde pausenlos angeschrien hatten, waren immer noch spürbar. »Er hat auf jeden Fall sein Wort gehalten.«
»Ach, und die Nächte in deinem Bett verbracht?«, fragte Constantine, den Blick fest auf Baltic gerichtet.
Ich zog die Augenbrauen hoch und überlegte, ob ich mit mädchenhafter Empörung oder weltgewandter Herablassung reagieren sollte. »Meine Jungfernschaft ist intakt, wenn du das wissen möchtest. Baltic hat nicht bei mir gelegen.«
»Ach nein? Warum sagen seine Männer dann, dass er jede Nacht in deiner Kammer war?«
Ich dachte an die wochenlange Reise von England an die Südküste Frankreichs. Es stimmte, dass Baltic mich jede Nacht besucht hatte – ich hatte ihn nicht abweisen können. Und ich hatte in der Tat viel darüber gelernt, wie ich ihm Lust bereiten und wie ich ihn so weit treiben konnte, dass er die Beherrschung verlor.
»Ich hatte Angst vor der Reise«, sagte ich wahrheitsgemäß. Die See war mir fremd gewesen, und ich traute ihr nicht.
Baltics Mundwinkel hoben sich.
»Es stimmt, dass er auf dem Schiff jede Nacht in meine Kajüte kam, aber nur um mich zu trösten.«
Auch das stimmte, aber eigentlich war es nur die halbe Wahrheit. In meinem neuen Heim würde ich sofort einen Beichtvater aufsuchen müssen.
Constantine gab einen ungläubigen Laut von sich, aber ich reckte das Kinn und sagte ruhig: »Ich kann nur wiederholen, meine Jungfernschaft ist intakt. Wenn du auf einer Untersuchung bestehst, habe ich nichts dagegen.«
»Nein«, sagte er, ohne den Blick von Baltic abzuwenden, dessen obsidianschwarze Augen amüsiert glänzten. »Ich akzeptiere, was du sagst.«
»Dem Himmel sei Dank. Und jetzt wäre ich dir sehr dankbar, wenn du mir sagen würdest, wo meine Familie ist. Meine Drachenfamilie. Wenn ich schon der einzigen Familie entrissen worden bin, die ich je kannte, dann würde ich wenigstens die gerne kennenlernen, die mich aufgegeben haben.«
Constantine ballte erneut die Fäuste, aber er trat vom Altar zurück und blickte mich endlich an. In der Ferne hörte man den Gesang der Mönche, die in einer kleineren Kapelle beteten. »Leider muss ich dir mitteilen, dass deine Eltern tot sind, Ysolde.«
»Nein«, sagte ich und blieb stehen, als er mich am Arm ergriff und aus der Kirche führen wollte. »Das kann nicht sein. Ich bin doch den ganzen Weg hierhergekommen, um sie zu sehen.«
»Es tut mir leid. Dein Vater ist im Kampf mit deinem Retter gestorben.« Seine Stimme klang bitter, als er mit dem Kinn auf Baltic wies. »Deine Mutter hat ihn nicht lange überlebt. Sie haben einander sehr geliebt. Ich wusste nicht, dass du noch lebst – deine Mutter hatte uns gesagt, du seiest ertrunken. Ich weiß nicht, warum sie dich zu Sterblichen gebracht hat statt zu ihrer eigenen Sippe, aber was für eine Freude, dass du endlich heimgekehrt bist.«
Tiefe Traurigkeit überwältigte mich und erfüllte mich mit Verzweiflung. Ich blickte Baltic an. Seine Miene war ausdruckslos, und er erwiderte meinen Blick wachsam. »Du hast meinen Vater getötet?«
»Wir befinden uns im Krieg«, sagte er lapidar. »In Kriegen verliert man das Leben, Ysolde.«
Ich nickte. Tränen traten mir in die Augen, und ich brachte keinen Ton heraus.
»Komm, ich bringe dich zur Familie deiner Mutter. Sie werden dich willkommen heißen«, sagte Constantine. Er legte mir die Hand auf den Rücken und geleitete mich durch die Kathedrale. Seine Wache folgte uns.
An den großen Flügeltüren blieb ich stehen und blickte zurück. Kostya und Pavel standen neben Baltic am Altar. Alle drei beobachteten mich. Ich wollte Baltic danken, weil er sein Wort mir gegenüber gehalten hatte, auch wenn er sich deswegen mit seinem Erzfeind hatte treffen müssen. Ich wollte ihm sagen, wie viel Lust er mir in unseren gemeinsamen Nächten geschenkt hatte. Ich wollte ihm sagen, dass ich nicht mehr wütend auf ihn war, weil er mich der einzigen Familie, die ich kannte, weggenommen hatte.
Ich sagte nichts. Ich blickte ihn nur an, dann drehte ich mich um und ging mit Constantine aus der Kathedrale in mein neues Leben.
»Du wirst jetzt geliebt werden, Ysolde«, versicherte Constantine mir. »Wir müssen dir noch viel beibringen, aber das wirst du nach und nach alles lernen.«
6
Nach und nach, dachte ich. Mein Herz war von solcher Trauer erfüllt, dass es in tausend Teile hätte zerspringen müssen. Nach und nach.
Nach und nach? Nein,
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