Lila Black 01 - Willkommen in Otopia
sie bereits auf dem Weg durch das hallende Entree gewesen. Jolene, die schon vor eins nach Hause gefahren war, hatte sie empfangen und Lila sichtlich pikiert ihr Zimmer gleich neben Zals gezeigt. Zal hatte Jolene höflich für ihre ganze Arbeit gedankt – immerhin organisierte sie die gesamte Tour –, und unter seiner Zuwendung war Jolene geschmolzen. Dann hatte Zal Lila einfach die Zimmertür vor der Nase zugemacht. Also war sie in ihr Zimmer gegangen und hatte ihre Tür ebenso entschieden geschlossen.
Kurz darauf hatte er die Verbindungstür zwischen ihren Räumen geöffnet, den Kopf hereingestreckt, »Gute Nacht, Ms Black« gesagt und die Tür wieder zugemacht.
»Gute Nacht«, hatte Lila nur noch zu der Tür, dem Bett mit den Seidenüberwürfen und den Platinarmaturen des Marmorbads gesagt. Sie lauschte hinaus, bis hinunter ans Meer, und stellte dann ihre Wächtersinne auf Automatik, indem sie sich drahtlos in das Sicherheitssystem des Gebäudes einklinkte, damit ihre KI die Arbeit machen konnte und sie nicht die ganze Nacht wach zu bleiben brauchte. Danach fiel die Bürde der Verantwortung so weit von ihr ab, dass sie sich ein wenig entspannen konnte.
Ihre Koffer waren am Fußende ihres Betts abgestellt worden. Die Sicherheitsschlösser blinkten grün – unangetastet. Aber Jolene hatte ihre Hausaufgaben gemacht. Im Bad standen die Toilettenartikel, die Lila immer benutzte. Der Bademantel und die Pantoffeln in ihrem Zimmer sahen aus wie die, die sie sich zuletzt gekauft hatte, waren aber von besserer Qualität. Auf dem Nachttisch stand eine Vase mit Freesien, und an der Wand hing in einem Silberrähmchen ein Foto von Okie, auf dem sein schwarzes Labradorfell in der letzten Sommersonne glänzte. Noch nie in ihrem Leben hatte sich jemand solche Mühe gegeben, damit sie sich irgendwo zu Hause fühlte. Jetzt hatte es eine Fremde getan, weil es zu ihrem Job gehörte.
Lila faltete den Bademantel zusammen und legte ihn mit den übrigen Aufmerksamkeiten einschließlich des Okie-Fotos in den Wandschrank. Die Freesien stellte sie in die riesige Badewanne, die sie sowieso nicht benutzen würde – die Vorstellung, nackt irgendwo zu liegen, war ihr grässlich, selbst wenn niemand sie sehen konnte. Außerdem war eine Badewanne wohl kaum der richtige Ort, um sofort aktionsbereit aufzuspringen. Sie nahm ihren Berrypic aus ihrer innersten Jackentasche und sah sich ihre Fotos an, wie sie es sich jeden Tag einmal gestattete. Sie befürchtete, wenn sie ihre Gedanken öfter in die Vergangenheit zurückschweifen ließe, würde sie nicht mehr die Kraft finden, sich aufzuraffen und wieder nach vorn zu blicken.
Lilas Fotos: Mum und Dad und Lila und ihre Schwester Maxine unter den Bäumen in Windover, am Rand des Golfplatzes, der an ihren Garten grenzte. Alle lächelnd, die Gesichter von der Sonne gerötet. Im Vordergrund Rusty und Buster, die beiden Retriever, mit hängenden Zungen wegen der Hitze.
Julia und Beatrix, ihre besten Freundinnen, an Lilas fünfzehntem Geburtstag. Im Hintergrund Dad, der mit einem Riesenbündel Luftballons aus dem Bild marschierte. Auf dem Tisch die Hände von Bryan, Mike und Sophie aus ihrer Schule, der Rest vom Bildrand abgeschnitten.
Buster allein. Er wurde gerade gebadet, nachdem er sich im Matsch gewälzt hatte. Auf dem Bild biss er fröhlich in den Gartenschlauch, und Wasser spritzte nach allen Seiten.
Rusty und Buster auf der Couch, mit Maxines Füßen. Warum hat es in meiner Familie nie jemand geschafft, alle mit aufs Bild zu kriegen?, fragte sich Lila. Aber dieses Foto hatte sie selbst gemacht, also konnte sie sich nur an die eigene Nase fassen.
Roberto abends vor ihrer Haustür, vor ein paar Jahren, das Blitzlicht gespiegelt vom Zellophan der Blumen, die er in der Hand hielt, und neben ihm … Dieses Foto übersprang Lila schnell. Sie hatte keine Lust, sich selbst in einem albernen kakaobraunen Schulabschluss-Ballkleid zu sehen.
Das letzte Bild war von ihrem Garten. Ohne Menschen. Sommer, die Rosen blühten. Ein sehr schlechtes Foto, die wunderschöne Rose im Vordergrund ganz unscharf.
Lila steckte den flachen Berrypic wieder in die Tasche. Sie schloss die Augen und klinkte sich kurz in ihre KI ein. Sie durchsuchte allnächtlich die Datenfluten des Otopia Tree für sie und fischte alle Neuigkeiten über ihre Familie und ihre Freunde heraus. Es ging allen gut. Rusty hatte zum Tierarzt gemusst, wegen eines Dorns in der Pfote. Julia wollte heiraten … o Gott …
Lilas Augen öffneten
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