Liliane Susewind – Ein Panda ist kein Känguru (German Edition)
Mit sicherem Schritt führte er Lilli nun auf einen ruhigeren Weg, auf dem sich kaum Leute aufhielten. Das lag vermutlich daran, dass es entlang dieses Weges lediglich einen botanischen Garten mit zahllosen Pflanzen und Kräutern gab, aber keine Tiergehege.
»Guck mal!« Lilli deutete auf einen Strauch mit feuerroten Blättern. »Ist das ein Spindelstrauch?« Neugierig trat sie näher. Pflanzen interessierten sie ebenso sehr wie Tiere, und inzwischen kannte sie viele Gewächse beim Namen.
»Ja, sieht so aus«, bestätigte Jesahja. »Aber geh lieber nicht zu nah ran. Wer weiß, wie diese Pflanzen hier auf dich reagie…« Abrupt brach er ab. Lilli hörte ihn nach Luft schnappen und wandte den Kopf von dem Strauch ab.
Sie erstarrte. Direkt vor ihnen saß ein winziger Affe auf dem Boden!
Im ersten Moment verstand Lilli gar nicht, was sie sah. Erschrocken kniff sie die Augen zu und hoffte, dass der Affe verschwunden sein würde, wenn sie sie wieder öffnete. Doch er war noch da – ein braunweißes Äffchen, nicht größer als ein Eichhörnchen, mit einem langen Schwanz und einer weißen Irokesenfrisur. Es hockte mitten auf dem Weg und blickte Lilli verwundert an.
»
Saguinus oedipus
– Lisztaffe«, stieß Jesahja hervor.
Lilli schoss vor Schreck eine Hitzewelle ins Gesicht. Was machte der Affe bloß hier?
»Ist der … aus seinem Gehege entwischt?«, hörte sie Jesahja stammeln.
Da entdeckte ein vorbeilaufendes Kleinkind das Äffchen. »Uiii!«, quietschte es und zeigte auf das winzige Tier.
»Oh, wie süß!«, flötete die Mutter des Kindes. »Aber nicht anfassen!«, setzte sie hinzu und zeigte auf ein Schild mit der Aufschrift »Freilaufende Lisztaffen – Bitte nicht füttern! Bitte nicht anfassen!« Sie nahm ihr Kind an die Hand, betrachtete das Äffchen lächelnd und ging weiter. Ihr fiel nicht auf, dass das Tierchen Lilli die ganze Zeit über wie verzaubert angestarrt hatte.
Jesahja sog scharf die Luft ein. »Freilaufende Affen? Warum stand davon nichts auf der Homepage?« Er sah sauer aus, aber dann schüttelte er den Kopf und schien sich wieder darauf zu konzentrieren, dass sie in einer ziemlich heiklen Lage waren. Er blickte sich um. »Lilli, außer uns sind nur noch zwei Leute auf dem Weg. Wir sind so gut wie allein hier.«
Lilli wollte etwas erwidern, da sagte der Affe plötzlich: »Das da sind Pfuiblumen.« Er wies auf den roten Strauch. »Pfuiblumen schmecken nicht.«
Bevor Lilli antworten konnte, nahm sie aus den Augenwinkeln eine Bewegung wahr. Ein zweiter Lisztaffe flitzte am Ast eines Baumes hinab. Er war ebenso klein wie der erste und hatte die gleiche Frisur – einen buschigen Streifen wehenden weißen Haars mitten auf dem Kopf. Einen Moment lang hing das zierliche Tier verblüfft am Stamm, dann kam es mit vorsichtigen Bewegungen näher, setzte sich neben den ersten Affen und musterte Lilli neugierig.
Lilli schaute sich um. Mittlerweile waren sie allein auf dem Weg. Mit freundlicher Stimme sagte sie zu den Tierchen: »Hallo, ich bin Lilli.«
»Ich bin Pu!«, antwortete das erste Äffchen wie aus der Pistole geschossen. Das zweite Äffchen machte aufgeregt einen Satz nach vorn und rief: »Ich bin Schnu!« Ihre trillernden Stimmen erinnerten an Vögel.
Pu setzte sich auf die Hinterläufe. »Eine Lilli also.« Er machte ein wichtiges Gesicht und kratzte sich am Bauch. »Lillis sind sehr selten.«
Schnu zog skeptisch die Nase kraus. »Woher willst du das wissen?«
»Ich weiß so etwas eben. Lillis sind sehr besonders.« Pu ringelte lässig sein Schwänzchen. »Sie sind allgemein bekannt als die schönste Menschenart, die es gibt!«
Lilli hörte der Unterhaltung der beiden erstaunt zu. »Äh … ich bin keine Art. Ich bin nur ich.«
»Siehst du!«, keckerte Schnu. »Sie ist nur sie.«
»Das kann nicht sein!« Pu hopste eigensinnig auf der Stelle. »Du bist nicht wie die anderen! Also bist du eine eigene, übermäßig besondere Art.«
»Na gut … das stimmt irgendwie«, bestätigte Lilli.
»Siehst du!« Pu richtete sich triumphierend vor Schnu auf. »Sie ist eine sehr seltene Lilli!«
Jesahja erinnerte Lilli daran, dass sie sich beeilen sollte. Jeden Augenblick konnten wieder Besucher den Weg entlangkommen. Lilli bat die beiden streitenden Äffchen um Ruhe, und die zwei verstummten auf der Stelle. »Ich muss jetzt weitergehen«, erklärte sie ihnen. »Ich möchte euch bitten, mir nicht zu folgen und mich auch nicht anzustarren.«
»Warum denn nicht?«, fragte Schnu und wackelte
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