Liliane Susewind – Rückt dem Wolf nicht auf den Pelz! (German Edition)
das, obwohl es bereits Spätherbst war! Die meisten Vögel mussten schon längst in Richtung Süden davongeflogen sein. Aber es schien beinahe, als hätten sich sämtliche Vögel, die noch im Wald waren, um das Camp herum eingefunden. Außerdem bemerkte Lilli mehrere Eichhörnchen, die in den Bäumen herumhuschten, und wunderte sich, so viele auf einem Fleck zu sehen. Hatte das womöglich etwas mit ihr zu tun? Sogar ein kleiner Igel wanderte im Unterholz neben ihnen her. Lilli wagte es aber nicht, irgendeines der Tiere anzusprechen.
Als sie den Acker erreichten, waren dort einige von Midas’ Männern damit beschäftigt, weitere Samen anzupflanzen. Über das ganze Feld verteilt hockten sie auf dem harten Boden und gruben, harkten oder gossen die Erde.
Ein flaues Gefühl breitete sich in Lillis Magen aus. Was würde Midas tun, wenn es nicht klappte? Zum Glück waren Bonsai, Frau von Schmidt und Jesahja bei ihr. Obwohl die Katze und der Hund wegen der Pfotenschuhe und des Maulkorbs, die sie außerhalb des Wohnwagens tragen mussten, unaufhörlich murrten, fühlte Lilli sich in ihrer Gegenwart viel wohler. Jesahjas Anwesenheit war für sie fast noch wichtiger als die der Tiere. Glücklicherweise hatte Midas ihn wie selbstverständlich wieder mit zum Acker genommen.
»Dann probier es doch noch mal, mein liebes Kind«, flötete Midas nun erwartungsvoll. »Es geht dir doch gut, nicht wahr?«
Lilli hätte am liebsten verneint, aber das hätte nichts gebracht. Mit gesenktem Kopf setzte sie sich auf den kalten Boden, legte die Hände auf die Erde und versuchte, sich zu konzentrieren. Doch sie war völlig verkrampft. Als ihr nach einer Weile klar wurde, dass sie noch nicht einmal einen kleinen Stiel hervorbringen würde, beschleunigte sich vor Nervosität ihr Herzschlag, und kurz darauf pochte und kribbelte es unangenehm in ihrem ganzen Körper. Lilli wusste, dass sie in diesem Zustand erst recht keinen Einfluss auf die Pflanzen hatte. Aber je länger sie darüber nachdachte, dass sie unbedingt sofort aufhören musste, Angst zu haben, desto schlimmer wurde es.
Nach einer Weile stöhnte Midas. War er genervt? Lilli riskierte einen Blick. Midas’ Gesicht war eine angestrengt lächelnde Fratze. Nun kniete er sich neben sie und zog sein Handy aus der Tasche. Ein paar Mal tippte er darauf herum und hielt Lilli dann das Display vor die Nase. Auf dem kleinen Bildschirm war ein Cartoon zu sehen. Eine wild fiepende Maus lief vor einer zähnefletschenden Katze weg, bis die Katze ihr schließlich eins mit einer Pfanne überbriet, woraufhin das Gesicht der Maus platt wurde wie eine Flunder.
Midas kicherte schrill. »Witzig, nicht?« Offenbar wollte er Lilli zum Lachen bringen. Solche Cartoons fand sie allerdings überhaupt nicht lustig. Mühsam zog sie einen Mundwinkel in die Höhe, da zeigte Midas ihr schon das nächste Trickfilmchen, das ebenso wenig witzig war wie das erste. Midas kicherte wieder und stieß Lilli in die Seite, um sie zum Mitlachen zu bringen.
Lilli warf Jesahja einen verzweifelten Blick zu, aber der kratzte sich nur fieberhaft am Hinterkopf.
Midas lachte lauter und stieß Lilli abermals in die Seite.
»Ich kann nicht!«, schoss es aus Lilli hervor. »Es geht nicht! Ich habe zu viel Angst!«
Midas’ Gesicht verfinsterte sich. »Fehlt es dir an irgendetwas, meine liebe Liliane?«, fragte er mit schmalem Mund. »Kann ich dir noch irgendetwas bringen lassen, damit du dich wohler fühlst?«
Lilli traten Tränen in die Augen. »Ich will nach Hause«, flüsterte sie erstickt.
Midas stand ruckartig auf und zog sein Jackett mit einer viel zu heftigen Bewegung zurecht. »Wir probieren es einfach später noch mal«, sagte er in unterdrückt bissigem Ton. »Ich bin dir nicht böse«, fügte er mit falschem Lächeln hinzu, aber man hörte ihm deutlich an, dass er ihr durchaus böse war. »Oleg!«, brüllte er im nächsten Augenblick. »Bring die Kinder zum Wohnwagen!«
Oleg, der ganz in ihrer Nähe gearbeitet hatte, kam zu ihnen herüber. Sein Gesicht war mürrisch wie immer. Man konnte sich kaum vorstellen, dass dieser Mann hinter seinem dunklen Bart jemals lächelte. Oleg würdigte die Kinder keines Blickes und stapfte zurück in Richtung Camp. Lilli folgte ihm mit hängendem Kopf. Bonsai und Frau von Schmidt zockelten neben ihr her, und Bonsai stellte leise fest: »Die komischen Fuß-Säckchen lassen Schmidti voll holprig herumhoppeln.«
Da hörte Lilli Jesahja, der hinter ihr ging, plötzlich murmeln: »Was ist
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