Liliane Susewind – Schimpansen macht man nicht zum Affen (German Edition)
und hielt die Nase in die Luft. »Also, ein bisschen zumindest.«
»Wirklich?« Lilli bemühte sich, auch etwas zu riechen, aber ihre Menschennase nahm nichts Ungewöhnliches wahr. Da hatte sie eine Idee. »Bonsai, bitte sieh dich hier ein wenig um … also, schnuppere dich um! Und wenn du einen Geruch witterst, den du kennst –«
»Was denn zum Beispiel? Schmidti?«
»Zum Beispiel deinen Haarkumpel. Wenn du ihn irgendwo riechst, dann komm zurück und gib mir ganz leise Bescheid.«
»Gebongt!« Bonsai schoss davon. Hochkonzentriert schnüffelte er an Sträuchern und Hecken, Masten und Mülltonnen, Zäunen und Pfeilern. Dann lief er eifrig zu Lilli zurück, die geduckt hinter einem Baum auf ihn wartete.
»Also, ich bin mir nicht sicher, ob hier irgendwas haarkumpelmäßig riecht«, berichtete er. »Wäre möglich. Aber wenn er hier war, dann ist das schon länger her.«
Lilli seufzte enttäuscht. Aber was hatte sie erwartet? Falls jemand Armstrong entführt und zu diesem Haus gebracht hatte, war der Affe sicherlich nicht einfach so über den Boden spaziert, wo Bonsai seine Fährte riechen konnte. Als Lilli nun daran dachte, dass Armstrong vielleicht gefesselt oder in einen Sack gesteckt worden war, lief es ihr eiskalt den Rücken hinunter.
»Irgendwas riecht hier übrigens total krass«, fügte Bonsai beiläufig hinzu.
»Wonach riecht es denn?«
Bonsai reckte die Nase. »Nach dem Besuchsfrauchen.«
Lilli stutzte. Mit dem Ausdruck »Besuchsfrauchen« bezeichnete Bonsai gewöhnlich Lillis Mutter, die sehr viel arbeitete und oft nur am Wochenende Zeit mit der Familie verbrachte. Lilli sah ihren Hund fragend an. Versuchte er ihr etwa zu sagen, ihre Mutter sei hier gewesen?
»Also …«, grummelte Bonsai. »… es riecht nicht so richtig nach ihr. Eher nach dem, was sie morgens über ihren Geruch drüber macht.«
Lilli kräuselte die Nase. »Meinst du Parfüm?«
Da hörten sie plötzlich ein Brummen, das schnell lauter wurde. Ein Auto näherte sich!
Lilli bekam einen riesigen Schreck und zog sich so tief wie möglich in den Schatten des Baumes zurück. »Bonsai, still!«, zischte sie und drückte sich mit pochendem Herzen gegen den Stamm. Bonsai gab keinen Laut von sich.
Ein Wagen fuhr an ihnen vorbei und hielt vor dem Haus. Lilli wagte es kaum, sich zu bewegen. Doch ihre Neugier siegte, und sie lugte hinter dem Baum hervor. Ein Mann stieg aus dem Auto. In der Dunkelheit konnte Lilli nur schemenhafte Umrisse erkennen, und sie erhaschte auch nur einen Blick auf den Rücken des Mannes, der gerade zum Kofferraum ging und eine Kiste heraushob. Er trug die Kiste zum Tor der Villa, drückte einen Knopf und wartete. Kurz darauf erklang ein eigenartiges Geräusch, das Lilli verwirrt umherblicken ließ – ein raues Knarren, begleitet von einem leisen Summen. Wo kam es her? Dann sah Lilli es: Eine lange Brücke schob sich langsam vom Haus des Millionärs aus über den Wassergraben. Dabei knarrte und summte sie, bis sie schließlich stillstand. Gleich darauf öffnete sich das Tor der Villa. Die beiden weißen Flügeltüren schwangen auseinander, der Mann mit der Kiste trat hindurch und überquerte mit sicherem Schritt die Brücke, die gleich hinter dem Tor angedockt hatte.
Lilli beobachtete all dies mit angehaltenem Atem. Sie fragte sich gerade, was wohl in der Kiste war, da erklang ein Schrei. Lilli fuhr zusammen und sämtliche Härchen an ihren Armen stellten sich auf. Was sie hörte, war ein Hilfeschrei. Und er kam aus der Kiste.
»Hilfe! Ich halte es hier drin nicht mehr aus! Hilfe!«, gellte es durch die Nacht. Es war die Stimme eines Vogels. In der Kiste musste ein Vogel gefangen sein! »Lasst mich raus! Ahhh!«, schrie er. Lillis Hand krallte sich in die Rinde des Baums. Sie konnte es kaum ertragen, nur dazustehen und nichts tun zu können. »Hilfeee!«, schallte es über den Wassergraben.
Lilli schloss verzweifelt die Augen. Sie konnte hören, um was für einen Vogel es sich handelte. Es musste eine Harpyie sein. Dessen war Lilli sich beinahe sicher, denn es gab eine Harpyie im Zoo, die ähnlich hohe, pfiffartige Laute hervorstieß.
Harpyien waren die stärksten Greifvögel der Welt. Doch das Tier in der Kiste war völlig hilflos – so wie Lilli.
Die Türen schlossen sich wieder, und alles, was Lilli noch hörte, war ihr eigener rasender Herzschlag.
»Das darf nicht wahr sein!«, presste sie leise hervor. Ihr war zum Heulen zumute. Würde die Harpyie nun für Tierversuche missbraucht werden?
»Lilli!
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