Liliane Susewind - So springt man nicht mit Pferden um
es zu springen.«
»Er … liebt es …« Storms Hals zuckte. »Wieso? Hat er denn keine Angst? Tut ihm das Beinfeuer nicht weh?«
»Nein, Merlin hat noch nie Beinfeuer erlebt.«
»Aber er springt doch!«
»Er springt ohne Beinfeuer.«
Storm stampfte mit den Hufen auf. »Wie kann das sein?«
»Man kann auch ohne das Feuer springen. Ohne Angst.«
Der Hengst schüttelte den schönen Kopf. Diese Vorstellung schien ihm völlig neu zu sein. »Ohne Angst …«, schnaubte er verwirrt. »Ohne Angst!« Er drehte sich um und zog sich im Galopp an den äußersten Rand der Koppel zurück. Lilli schaute ihm mit gerunzelter Stirn nach.
»Was ist mit ihm?« Tom stand plötzlich hinter Lilli.
»Er kann nicht fassen, wie gern Merlin springt.«
»Oh.« Tom nickte. »Das muss ihm verrückt vorkommen.« Lilli sah Tom an, wie besorgt er um Storm war. »Soll ich Storm beim nächsten Mal lieber auf eine andere Koppel lassen?«, fragte der Junge mit den verstrubbelten Haaren.
Lilli dachte nach. »Nein«, sagte sie dann. »Lass ihn ruhig weiter zuschauen.«
Am folgenden Tag radelten Lilli und Jesahja gleich nach der Schule wieder zum Reiterhof. Lilli hatte Merlin versprochen, wieder mit ihm zu springen, und sie selbst freute sich ebenso sehr darauf wie der Schimmel. Sobald sie ihr Training auf dem Platz begannen, war Merlin vollkommen in seinem Element. Mit stolzer Körperhaltung galoppierte er an die Hindernisse heran, und wenn er über eines hinwegsprang, wieherte und johlte er vor Freude, und Lilli johlte mit.
Jesahja und Wolke standen am Rande des Platzes und schauten Lilli und Merlin zu. Neben ihnen saß Tom auf dem Zaun. Wolke und Tom trugen neue Turnschuhe. Für ihre neuen Jacken war es an diesem Tag allerdings viel zu warm.
Es dauerte nicht lange, da gesellten sich auch Annabell und Slavika zu ihnen. Es schien, als wolle keiner verpassen, was sich auf dem Platz abspielte.
Merlin war überglücklich. »Ich bin ein Wunderpferd!«, grölte er. »Ein springhüpfendes Wunderpferd!«
Lilli kicherte.
»Und du bist eine Wunderlilli-i-i!«
»Ihr seid laut!«, erklang plötzlich eine ernste Stimme.
Lilli blieb das Lachen im Halse stecken. Storm! Der schwarze Hengst stand am Gatter seiner Koppel, keinen Steinwurf von ihnen entfernt. Lilli hatte ihn zuvor gar nicht bemerkt. Schaute er ihnen schon lange zu?
»Wir sind frohglücklich!«, erklärte Merlin dem Hengst gluckernd. »Total frohglücklich!«
»Das sehe ich«, schnaubte Storm mit tiefer Stimme.
»Springen ist das Größte!«, fügte Merlin aufgedreht hinzu. »Ich könnte immer nur springen! Jeden Tag, von morgens bis abends! Und auch nachts! Und überhaupt!«
Storm hörte Merlin mit schief gelegtem Kopf zu.
»Was sagt er denn?«, rief Tom vom Zaun her, doch Lilli antwortete nicht. Sie hielt den Atem an. Sie hatte das Gefühl, dass Merlins Erklärungen Storm nachdenklich machten.
»Ohne Beinfeuer …«, murmelte Storm.
»Ohne was?« Merlin wackelte mit dem Kopf. »Mein Bein ist total in Ordnung!«
»Dir tut nichts weh?«
»Nö! Nix! Ich li-i-iebe Springen!« Merlins Augen glänzten. »Ich mag Springen am allerliebsten. Lieber als Ausreiten. Lieber als Schlafen. Lieber als Fressen!« Er prustete aufgeregt in Storms Richtung. »Willst du mal mitspringen? Dann siehst du, wie frohschön das ist!«
Der schwarze Hengst erstarrte.
»Du musst keine Angst haben!«, rief Merlin. »Du kannst das bestimmt gut! Ich hab ja gesehen, wie schnellflitzig du bist. Und bei deinen langen Beinen kommst du bestimmt auch gut über die Hürden drüber.«
Lilli verfolgte atemlos, was da gerade zwischen Merlin und Storm geschah.
Übermütig rief Merlin: »Mach doch einfach mal mit!« Er trabte zu Storm hinüber. »Lilli! Wir müssen das Auf und zu für ihn wegmachen!« Merlin stupste mit den Nüstern gegen das Gatter, hinter dem Storm stand.
»Was hast du vor?«, rief Annabell, als Lilli nun vom Pferd sprang und das Gatter öffnete. Lilli machte eine Handbewegung, die besagen sollte, dass sie später alles erklären würde.
Das Gatter war geöffnet. Aber Storm stand wie angewurzelt da.
»Was hat das zu bedeuten?«, fragte Wolke. Aber niemand antwortete.
»Du kannst jetzt raus! Komm! Hier geht’s lang!«, rief Merlin, lief zu Storm, stieß ihn leicht an, lief durch das Gatter zurück und schaute sich nach ihm um. »Na, kommst du?«
Der schwarze Hengst schnaubte. Sein Schweif schwang nervös hin und her.
»Keine Angst!«, rief Merlin. »Ich zeig dir alles. Das wird total
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