Liliane Susewind – Tiger küssen keine Löwen (German Edition)
Antwort auf diese Frage finden konnte, dann war es Jesahja. Er kam den Dingen letzten Endes immer auf die Spur. Darauf war Verlass.
Nachts im Zoo
Es war mitten in der Nacht, schon lange nach zwölf Uhr, als Jesahja einen Kieselstein an Lillis Fenster warf und sie damit aufweckte. Bonsai, der neben Lillis Bett lag, fuhr gleichzeitig mit Lilli aus dem Schlaf. Doch bevor er »Alarm!«, kläffen konnte, zischte Lilli ihm zu: »Ruhig, Bonsai. Das ist nur Jesahja.«
»Mitten im Dunkeln?«, wuffte Bonsai leise.
»Ja, wir haben was vor.«
»Was denn? Was denn?«
»Ruhig, Bonsai. Nicht so laut.«
»Tschuldigung.«
»Wir wollen einem Löwen und einer Tigerin im Zoo helfen.«
»Was ist eine Tigerin?«
»Das ist eine sehr große Katze. Stell dir Frau von Schmidt zehn Nummern größer vor. Und ein Löwe ist so was wie eine sehr große gelbe Katze mit einer Frisur wie meiner.«
»Haben die auch Stil?«
»Aber sicher.« Lilli unterdrückte ein Kichern und öffnete das Fenster. »Ich komme«, signalisierte sie Jesahja mit einer Handbewegung. Geschwind zog sie sich an und schlich auf Zehenspitzen in die untere Etage. Bonsai folgte ihr dicht auf den Fersen.
Als Lilli das Haus verließ, flüsterte sie dem kleinen weißen Pelzknäuel zu: »Tut mir leid, Bonsai, du musst hierbleiben.«
»Ich will aber den Löwen mit der Frisur sehen.« Bonsai wedelte zaghaft mit dem Schwanz. »Darf ich?«
Jesahja erschien vor der Haustür, gefolgt von Frau von Schmidt. »Ich konnte sie nicht abschütteln.« Er deutete mit dem Kopf auf die orangefarbene Lady.
»Irgendetwas ist hier im Gange«, maunzte Frau von Schmidt pikiert. »Bitte informieren Sie mich. Zu nachtschleichender Zeit verlässt das Jungenkind sonst niemals das Haus. Hier geht etwas ganz und gar Ungewöhnliches vor.«
»Das ist richtig, Frau von Schmidt«, bestätigte Lilli.
»Was sagt sie?«, fragte Jesahja.
»Sie sagt, dass wir irgendetwas vorhaben.«
Bonsai hechelte aufgeregt. »Schmidti ist ein Schnellmerker!«
»Jetzt hört mal zu«, sagte Lilli mit leiser Stimme zu dem Hund und der Katze. »Jesahja und ich müssen etwas Wichtiges erledigen. Wir wollen zwei Raubkatzen helfen, und das Ganze ist etwas kniffelig. Deswegen könnt ihr nicht mitkommen.«
»Raubkatzen?«, miezte Frau von Schmidt. »Was sind das für Herrschaften? Haben sie irgendwen beraubt? Sind sie gute Jäger? Wie aufregend!«
Bonsai sprang an Lilli hoch. »Ich will den Löwen sehen! Ich will den Löwen sehen!«
Lilli warf Jesahja einen resignierenden Blick zu. »Ich glaube, wir müssen die beiden mitnehmen.«
Jesahja kratzte sich am Hinterkopf. »Hoffentlich verhalten sie sich im Zoo ruhig. Radau können wir nicht gebrauchen.«
»Ich sag’s ihnen.« Lilli erklärte der Katze und dem Hund, wie wichtig es war, dass sie sich absolut still verhielten. Frau von Schmidt versicherte, sie würde sich »dem Anlass entsprechend benehmen«, und Bonsai versprach, »die Klappe zu halten«.
Jesahja holte sein Fahrrad, und Lilli schob ihres aus dem Schuppen. Dann öffnete Jesahja seinen Rucksack und Frau von Schmidt sprang mit einem geschmeidigen Satz hinein. »Wir können nun abreisen«, verkündete sie.
Lilli setzte Bonsai ebenfalls in ihren Rucksack, und es konnte losgehen.
Es war ein bisschen merkwürdig, mitten in der Nacht auf den Straßen unterwegs zu sein. Alles war wie ausgestorben und totenstill. Wenn Lilli allein gewesen wäre, hätte sie bestimmt Angst gehabt, aber da Jesahja dabei war, fürchtete sie sich nicht.
Schließlich erreichten sie den Zooeingang. Sie versteckten ihre Fahrräder hinter einem Busch, ließen die Tiere aus den Rucksäcken auf die Straße springen und benutzten Finns Schlüssel, um das Tor zu öffnen.
Es war still im Zoo. Die meisten Tiere schliefen, und Lilli, Jesahja, Bonsai und Frau von Schmidt huschten wie kleine Schatten die Pfade entlang, bis sie vor den Käfigen von Shankar und Samira standen.
Shankar lag in seinem Gehege, ganz nah am Gitter. Offenbar schlief er tief und fest.
»Wow! Ist das der Löwe?«, schnuffte Bonsai beeindruckt. »Was für Mordspranken! Und erst diese riesige Nase!«
Frau von Schmidt näherte sich unterdessen ebenfalls neugierig. »Ist dies eine der besagten Raubkatzen?« Die kleine Dame presste ihre zierliche Nase gegen die Gitterstäbe, um besser sehen zu können. »Oh!«, entfuhr es ihr. »Sehen Sie nur! Dieser Herr ist ein Gigant! Und wie glorreich sein Fell glänzt! Er muss ein blaublütiger Graf sein …« Frau von Schmidt stemmte
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