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Lilien im Sommerwind

Lilien im Sommerwind

Titel: Lilien im Sommerwind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nora Roberts
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nach dem anderen. Es hatte volle drei Jahre gedauert, und jetzt konnte sie sich durch den Verkauf und ihre Ersparnisse ihren Traum erfüllen.
    Sie musste nur nach Progress zurückgehen.
    Tory saß an ihrem Küchentisch und las zum dritten Mal den Mietvertrag über die Geschäftsräume in der Market Street. Sie fragte sich, ob Mr. Harlowe im Maklerbüro sich wohl an sie erinnerte.
    Sie war gerade zehn gewesen, als ihre Familie von Progress nach Raleigh gezogen war, damit ihre Eltern die Chance auf eine feste Anstellung bekamen. Bessere Arbeit, hatte ihr Vater behauptet, als sich mühsam von dem ausgelaugten Stück Land zu ernähren, das den allmächtigen Lavelles gehörte.
    Natürlich waren sie in Raleigh genauso arm gewesen wie in Progress. Sie hatten zudem noch weniger Platz gehabt.
    Aber das spielt keine Rolle, dachte Tory. Sie würde nicht wieder arm werden. Sie war nicht mehr das ängstliche, dünne Mädchen von einst, sondern eine Geschäftsfrau, die in ihrer Heimatstadt einen neuen Laden aufmachte.
    Und warum zittern Ihre Hände dann so?, würde die Therapeutin fragen.
    Vor Freude, beschloss Tory. Vor Aufregung. Und Nervosität. Na gut, nervös war sie auch, aber das war nur menschlich. Sie hatte ein Recht darauf. Sie war normal. Sie war, was immer sie sein wollte.
    »Verdammt!«
    Mit zusammengebissenen Zähnen ergriff sie den Füller und unterschrieb den Vertrag.
    Es war nur für ein Jahr. Ein Jahr. Wenn es nicht funktionierte, konnte sie wieder weggehen. Das hatte sie früher auch schon gemacht. Irgendwie kam es ihr so vor, als sei sie immer wieder weggegangen.
    Doch bevor sie dieses Mal weggehen konnte, musste sie noch eine Menge erledigen. Der Mietvertrag war nur ein winziger Bestandteil des Papierberges, der vor ihr lag. Das meiste - die Lizenzen und Kontrakte für den Laden, den sie aufmachen wollte, war unterschrieben und besiegelt. Sie betrachtete den Staat South Carolina mittlerweile als Wegelagerer, aber sie hatte die Gebühren bezahlt. Als Nächstes kam der Kaufvertrag für das Haus, und die Anwälte, mit denen sie dabei zu tun hatte, waren noch schlimmer als Wegelagerer.
    Aber am Ende des Tages würde sie ihren Scheck in der Hand halten und sich auf den Weg machen.
    Mit dem Packen war sie beinahe fertig. Es ist gar nicht so viel, dachte sie jetzt. Sie hatte fast alles verkauft, was sie seit ihrem Umzug nach Charleston erworben hatte. Leichtes Reisegepäck vereinfachte die Dinge, und Tory hatte früh gelernt, ihr Herz nie an etwas zu hängen, was man ihr wegnehmen konnte.
    Sie erhob sich, spülte ihre Tasse aus, trocknete sie ab und wickelte sie in Zeitungspapier, um sie in die kleine Kiste mit Küchenutensilien zu legen, die sie mitnehmen wollte. Sie blickte aus dem Fenster über der Spüle in ihren winzigen Garten.
    Die kleine Terrasse war sauber geschrubbt. Tory wollte die Tontöpfe mit Verbenen und weißen Petunien für die neuen Besitzer dalassen. Sie hoffte, sie würden den Garten pflegen, aber wenn sie ihn umgruben, nun, dann war das ihre Sache.
    Tory hatte das Haus geprägt. Die neuen Besitzer konnten tapezieren und neu anstreichen, fliesen und neue Fußböden verlegen, aber was sie gemacht hatte, war zuerst da gewesen, und es würde für alle Zeit unter dem Neuen bewahrt bleiben.
    Man konnte die Vergangenheit nicht ausradieren, nicht ungeschehen machen. Genauso wenig wie man die Gegenwart und zukünftige Veränderungen beeinflussen konnte. Alle Menschen waren in einem Kreis der Zeit gefangen, der sich um den Kern des Vergangenen drehte. Und manchmal war das Vergangene so stark und beherrschend, dass es einen wieder zurückzog, ganz gleich, wie sehr man sich dagegen wehrte.
    Noch deprimierter kann ich wohl kaum werden, dachte Tory seufzend.
    Sie verschloss die Kiste, hob sie hoch, um sie zu ihrem Auto zu tragen, und verließ die Küche, ohne sich noch einmal umzublicken.
     
    Drei Stunden später war der Scheck vom Verkauf des Hauses ihrem Konto gutgeschrieben. Tory schüttelte den neuen Eigentümern die Hand, lauschte höflich ihrer überschwänglichen Begeisterung über den Erwerb ihres ersten Hauses und verließ das Bankgebäude.
    Das Haus und die Leute, die es nun bewohnten, gehörten nicht mehr zu ihrer Welt.
    »Tory, warten Sie eine Sekunde!«
    Tory drehte sich um, eine Hand an der Autotür und in Gedanken bereits auf der Fahrt. Aber sie wartete, während ihre Anwältin über den Parkplatz der Bank auf sie zukam. Sich durchschlängelte trifft eher zu, korrigierte sich Tory. Abigail

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