Lilien im Sommerwind
schon.«
Die ersten Kunden kamen um viertel nach zehn, angeführt von Lissy. Tory beschloss, sämtliche unfreundlichen Gedanken über die frühere Schönheitskönigin zurückzunehmen, als Lissy all ihre Freundinnen durch den Laden führte und mit ihnen die Waren bestaunte.
Um elf standen fünfzehn Kundinnen im Laden, und Tory hatte bereits vier Verkäufe getätigt.
Gegen Mittag war sie viel zu beschäftigt, um noch nervös zu sein. Es gab zwar Blicke und Geflüster, und sie schnappte auch das eine oder andere auf, aber sie wappnete sich gegen das Unbehagen und packte stattdessen die Einkäufe der Neugierigen ein.
»Sie waren doch mit der kleinen Lavelle befreundet, nicht wahr?«
Tory wickelte die eisernen Kerzenleuchter in braunes Papier. »Ja.«
»Schrecklich, was mit ihr passiert ist.« Die Frau beugte sich vertraulich vor. »Sie war ja fast noch ein Baby. Sie haben sie gefunden, nicht wahr?«
»Ihr Vater hat sie gefunden. Möchten Sie eine Schachtel oder eine Tüte?«
»Eine Schachtel. Sie sind für die Tochter meiner Schwester. Sie heiratet nächsten Monat. Ich glaube, Sie sind mit ihr zur Schule gegangen. Kelly Anne Frisk.«
»Ich kann mich nicht mehr an viele Leute erinnern, mit denen ich zur Schule gegangen bin«, log Tory freundlich lächelnd, während sie die Leuchter in die Schachtel legte. »Es ist schon so lange her. Soll ich es als Geschenk einpacken?«
»Das mache ich schon, Schätzchen. Kümmere du dich um deine anderen Kunden«, schaltete sich Iris ein. »Kelly Anne heiratet also! Ich glaube, ich kann mich noch gut an sie erinnern. Das ist doch Marshas älteste Tochter, oder? Du meine Güte, wie die Zeit vergeht!«
»Kelly Anne hatte nach dem Tod der kleinen Lavelle noch monatelang Albträume«, erwiderte die Frau mit einer Genugtuung, die in Tory nachhallte.
Am liebsten wäre sie kurz ins Hinterzimmer geschlüpft, bis ihr Herzklopfen nachließ. Stattdessen wandte sie sich an eine große Brünette, die sich nicht unter den Servierschüsseln entscheiden konnte. »Kann ich Ihnen behilflich sein?«
»Bei dieser großen Auswahl fällt mir die Entscheidung so schwer. Ist das da drüben JoBeth Hardy, Kelly Annes Tante? Sie ist eine unangenehme Person. Und Sie können kaum etwas dagegen sagen. Sie waren schon immer sehr besonnen und zurückhaltend. Wahrscheinlich erinnern Sie sich nicht an mich.«
Die Brünette streckte Tory die Hand entgegen.
»Nein, es tut mir Leid.«
»Nun, ich war damals beträchtlich jünger, und Sie waren nicht in meiner Klasse. Ich habe die zweite Klasse der Grundschule in Progress in Englisch unterrichtet, und das tue ich auch heute noch. Marietta Singleton.«
»Oh, Miss Singleton. Natürlich erinnere ich mich an Sie! Wie nett, Sie wiederzusehen.«
»Ich habe mich sehr auf Ihre Eröffnung gefreut. Ich habe in den letzten Jahren häufig an Sie gedacht. Sie wissen vielleicht nicht, dass ich früher einmal mit Ihrer Mutter befreundet war. Natürlich Jahre, bevor Sie zur Welt kamen. Die Welt ist klein.«
»Ja.«
»Manchmal ein bisschen zu klein.« Sie blickte zur Tür, durch die gerade in diesem Moment Faith trat. Die beiden Frauen maßen sich mit einem funkelnden Blick, dann wandte sich Marietta wieder den Schüsseln zu. »Aber wir können nun mal nirgendwo anders leben. Ich glaube, ich nehme diese hier. Das Blau auf dem Weiß ist bezaubernd. Können Sie sie mir zurücklegen, während ich mich noch ein wenig umsehe?«
»Gern. Ich hole Ihnen eine aus dem Lager.«
»Victoria«, sagte Marietta leise und legte ihre Hand kurz auf Torys. »Es war sehr mutig von Ihnen, hierher zurückzukommen. Sie waren immer schon sehr mutig.«
Sie ging weiter, während Tory verwirrt und überrascht stehen blieb. Eine Welle von Trauer war von der Frau ausgegangen.
Sie ging in den Lagerraum, um den Kopf wieder klar zu bekommen und die Schüssel zu holen. Verärgert stellte sie fest, dass Faith ihr nachkam.
»Was wollte diese Frau?«
»Wie bitte? Hier dürfen nur Angestellte hinein.«
»Was wollte sie - Marietta?«
Kühl griff Tory nach der Schüssel. »Das hier. Die meisten Leute, die hierher kommen, wollen etwas kaufen. Deshalb wird das ja auch als Laden bezeichnet.«
»Was hat sie zu dir gesagt?«
»Warum sollte dich das etwas angehen?«
Faith stieß einen zischenden Laut aus und holte ein Päckchen Zigaretten aus ihrer Tasche.
»Rauchen verboten.«
»Verdammt.« Sie steckte die Packung wieder ein und schritt erregt auf und ab. »Diese Frau hat kein Recht, in der Stadt
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