Lilienblut
lange Ruhe gegeben hatte, fing wieder an, sich zu regen.
Berti. Die Werth. Der schwarze Schatten. Kilian. Alles hing miteinander zusammen. Es gab eine Verbindung und die führte direkt zu Amelie. Die Krallen fuhren aus und sie spürte den spitzen Schmerz in ihrem Bauch.
»Kommst du?«
Auf Franziskas Stirn stand eine steile Falte. Sabrina unterdrückte einen Seufzer. Dann trottete sie hinter ihrer Mutter und Lukas her. Als sie ein letztes Mal die Fassade hochsah, waren nur noch zwei Fenster erleuchtet. Und an einem erkannte sie die Silhouetten von Frau Fassbinder und Herrn Tuch. Sie standen nebeneinander und sahen ihr nach, so lange, bis sie in Lukas Wagen gestiegen und aus ihren Blicken verschwunden war.
FÜNFUNDZWANZIG
Michael hatte Glühwein gemacht. Dass er dazu die teuerste Flasche aus dem Regal erwischt hatte, war Franziska noch nicht einmal ein Schulterzucken wert. Sabrina bekam eine heiße Schokolade, und Lukas, der noch Autofahren musste, ließ sich nur ein halbes Glas einschenken. Dann setzten sich alle um den Küchentisch.
»Herbert Wennigstedt«, begann Franziska. »Wer ist das? Woher kanntest du ihn? Was hattest du in seiner Wohnung zu suchen?«
»Ich bin ihm nur einmal begegnet. Er ist ein Freund von Amelies Eltern. Er wohnt über den Bogners.« Sabrina schauderte, als sie an seine Wohnung dachte. »Ich habe vor ein paar Tagen nachgesehen, ob alles in Ordnung ist bei ihm. Wanda und Willy hatten schon eine Weile nichts von ihm gehört.«
»Wir haben dann ein bisschen herumgefragt«, fuhr Lukas fort. Er ignorierte, dass Franziska bei diesem »Wir« zusammenzuckte. Wahrscheinlich hatte sie nicht damit gerechnet, dass auch ein Kreutzfelder mit in dem ganzen Schlamassel steckte. Wieder flutete eine Welle von Dankbarkeit Sabrinas Herz. Lukas ließ sie nicht hängen, und als er weitersprach, versuchte er genau wie sie, das Ganze als eine Art Nachbarschaftshilfe zu erklären.
»Wennigstedt hat damals nach Amelies Tod Andeutungen gemacht. Wie sich herausstellte, hat er vor acht Jahren im Hafen gearbeitet und dort mit ein paar Kumpels die Namedyer Werth als schwarze Liegeplätze für kleinere Schiffe vermietet. Ihre Tochter hatte das Gefühl, dass er vielleicht etwas gesehen hat. Schließlich geht er immer noch angeln in der Gegend.«
»Er war der Mann, der mich am toten Fluss verfolgt hat.
Ich war vor ein paar Wochen schon mal da. Beim Ranger, weil ich wissen wollte, was er der Polizei gesagt hat. Angeblich soll dort kein Schiff, sondern nur ein Sportboot gewesen sein. Aber Amelie und ich haben dieses Schiff gesehen.«
»Und den Schiffer«, setzte Lukas grimmig hinzu.
Franziska hatte ihre Hände gefaltet und vor sich auf die Tischplatte gelegt. Michael Gerber streichelte sie beruhigend.
»Amelie wollte abhauen«, antwortete Sabrina. »Sie wollte Kilian fragen, ob er sie mitnimmt. Irgendwohin. In den Süden, glaube ich.«
»Kilian ist dieser Kerl, von dem Sabrina eine Phantomzeichnung angefertigt hat. Aber keiner auf der Polizei hat ihr geglaubt, weil das Schiff samt Schiffer verschwunden war. Und die Aussage des Rangers stand gegen ihre.«
»Als Berti verschwunden war, bin ich zum Geysir. Mir hat das keine Ruhe gelassen, warum der Ranger etwas anderes erzählt als das, was Amelie und ich gesehen hatten. Dort habe ich in dem Häuschen für die Aufseher das Dienstbuch gefunden. In der Woche von Amelies Tod hat jemand die Schichten gefälscht und den Ranger erst nachträglich eingetragen. Ich hab die Seite rausgerissen. Da kam der Ranger um die Ecke und ich bin zum toten Fluss gerannt.«
»Zum toten Fluss«, flüsterte Franziska.
»Und da hüpfte ein Mann am Ufer herum. Ganz merkwürdig. Er war klein und hatte einen dunklen Umhang an.«
»Vielleicht ein Anglercape?«, wollte Michael wissen.
Dankbar lächelte ihn Sabrina an. »Ja, das kann sein. Wenn das Berti war, dann hat er auf jeden Fall auch nach seinem Verschwinden noch gelebt. Man müsste herausfinden, wo er untergekrochen ist, wer ihm dabei geholfen hat.«
Franziska nahm einen Schluck Glühwein. »Sehr richtig. Man. Aber nicht du. Erzähl weiter. Was ist am Samstag passiert, als ich noch dachte, mit Rouladennadeln rechnen zu können?«
Es war schon ein Uhr morgens. Ihre Mutter sah müde aus. Sabrina hätte viel dafür gegeben, wenn dieser bittere Zug um
ihren Mund einfach nur Erschöpfung und nicht diese tiefe, stille Enttäuschung gewesen wäre. Egal, welche Folgen ihr Geständnis haben würde, in diesem Moment ging es nur noch um die
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