Lilienblut
komisch«, sagte sie schließlich. »Aber mein Freund hat mit mir Schluss gemacht, weil ich mich von manchen Dingen eben nicht so leicht abbringen lasse. Ich bin fast ertrunken an Silvester. Und Günni sagt, er hat Angst. Und wenn so ein Bär von einem Mann das sagt, dann nehme ich das ernst. Dann beschäftigt mich das. Mehr nicht.«
»Okay.«
Beate beobachtete, wie das Schiff sich langsam dem Anlegesteg der Werth näherte. Draußen stand schon ein Helfer bereit, um die Taue in Empfang zu nehmen. »Dann interessiert dich das hier wohl auch nicht mehr.« Sie legte ein Zeitungsblatt auf den Tisch. Auf der Vorderseite prangte die Überschrift: »Neue Schöffen vereidigt.«
Sabrina wollte danach greifen.
Aber schon lag Beates Hand darauf. »Lesen oder nicht lesen? Weitermachen oder ignorieren? Treue oder Verrat?«
»Ich glaube nicht, dass ich jemanden verrate, nur weil ich vorsichtig geworden bin«, entgegnete Sabrina eisig.
Langsam zog Beate die Hand zurück. »Ich sagte nicht, dass wir uns in Gefahr begeben sollten. Aber wenn du meine Freundin wärst …« Sie stockte.
Sabrina sah sie fragend an. Waren sie das nicht mehr? Nein, gab sie sich selbst die Antwort. Etwas stand zwischen ihnen und Beate wusste das. Vielleicht haben wir uns auch nur etwas vorgemacht, dachte Sabrina. Genau wie Lukas und ich. Aber so was geht nicht gut. Wenn man sich zu ähnlich ist mit dem, was man braucht, frisst man den anderen vielleicht auf.
»Du bist meine Freundin«, sagte Beate. »Auch wenn ich nicht weiß, was gerade mit dir los ist. Aber dass du unglücklich bist, das weiß ich.«
»Jetzt redest du schon wie Michael.« Der Trotz in ihrer Stimme war unüberhörbar und fiel ihr selbst auf. »Der Freund meiner Mutter. Er ist Psychologe.«
»Offenbar kein schlechter«, konterte Beate. Sie lehnte sich zurück und ließ Sabrina freie Bahn.
Im Text unter der Schlagzeile waren einige Stellen mit einem gelben Marker angestrichen, aber es waren nur die, in denen der Richter erwähnt wurde. Ratlos betrachtete Sabrina den Ausriss, drehte ihn um und stieß einen überraschten Laut aus.
Kilian. Ihr Herz raste plötzlich. Aber nein, das war nicht Kilian. Es war das Foto von jemandem, der ihm unglaublich ähnlich war. »Lebenslänglich für Mord auf der Namedyer Werth«. Sabrina überflog den Artikel und achtete gar nicht mehr auf Beate, die währenddessen zahlte und ihre Siebensachen zusammensuchte.
Das Landgericht Koblenz verurteilte heute den 32-jährigen Kilian S. zu einer lebenslangen Haftstrafe. Er wurde auf Grund von Indizien für schuldig befunden, im Juli vergangenen Jahres die 22-jährige Liliane S. erstochen zu haben. Als erschwerenden Umstand wertete das Gericht, dass er seinen elfjährigen Sohn beschuldigte, die Tat begangen zu haben. Dieser verweigerte die Aussage. Der Mord hatte sich auf einem Schiff zugetragen, das auf einem Seitenarm des Rheins tagelang vor Anker lag. Der Anwalt des Täters kündigte Revision gegen das Urteil an.
»Kilian?« Sabrina ließ die Zeitung sinken. »Kilian senior sagt, sein Sohn …« Der Dampfer legte an. Die wenigen Gäste sammelten sich am Ausstieg. »Darf ich die behalten?«
»Nur, wenn Opa sie gebügelt wiederkriegt.«
An Land schlossen sie sich den Ausflüglern an und liefen
Richtung Geysir. Vom Ranger war weit und breit nichts zu sehen. Zwischen den Bäumen leuchtete das sanfte Weiß der ersten Anemonen. Vor ihnen gabelte sich der Weg, und Sabrina erinnerte sich mit Schaudern daran, wie sie nach links statt nach rechts abgebogen war, um in der Hütte nach Beweisen dafür zu suchen, dass etwas mit der Aussage des Rangers nicht stimmte.
»Hallo? Kommt ihr noch?«
Ein junger Aufseher spähte um die Ecke. Etwas an seiner Gestalt kam Sabrina bekannt vor. Dem Mann musste es ähnlich gehen, denn als er Sabrina sah, wandte er sich um und verschwand so plötzlich, dass es fast nach Flucht aussah.
»Das …« Sabrina packte Beates Arm. »Das ist Michi! Was macht der denn hier?«
»Michi heißt er? Ich habe dieses Pickelgesicht an Silvester ganz in deiner Nähe gesehen. Und als ich heute Morgen zum Bus gegangen bin, stand er schon aufgeblasen am Fähranleger und tat so, als wäre er Käptn Cook persönlich.« Beate hatte wieder dieses zufriedene Lächeln in den Mundwinkeln.
»Du wusstest, dass er hier arbeitet? Du machst mich wahnsinnig! Warum sagst du denn nichts?«
»Wenn mich keiner fragt?«
Sie setzten sich in Bewegung. Am Geysir hatte sich die kleine Gruppe im Halbkreis
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