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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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zauberhaftes Lächeln. »Ange staunt trifft es mehr. Man sieht hier selten Leute wie dich.«
    »Wie mich?«, fragte er.
    »Fremde. Also, keine Touristen. Fremde eben. Geheimnisvolle Fremde.«
    Sabrina traute ihren Ohren nicht. Amelie strahlte den Unbekannten an und hatte ihre Stimme eine ganze Oktave nach unten geschraubt. Offenbar war das hier Flirten. Denn der Unbekannte lächelte plötzlich zurück und das hellte sein finsteres Gesicht auf wunderbare Weise auf.
    »Also seid ihr einfach nur neugierig.«
    »Ja«, antwortete Amelie. »Schrecklich neugierig!«
    »So.«
    Im Bruchteil einer Sekunde griff er in den Eimer, packte
den Fisch, der wie rasend zappelte. Wasser spritzte bis an die Wand, er schlug den Kopf des Tieres auf die Kante der Spüle, der Fisch erstarrte betäubt, da hatte der Unbekannte auch schon das Messer in der Hand und rammte es in die Kiemen. Ein hässliches, knirschendes Geräusch war zu hören. Der Fisch zuckte noch einmal und Blut floss aus der Wunde in das Becken. Fassungslos starrte Sabrina auf den Mann. Dann auf den toten Fischleib. Dann auf Amelie.
    Ihre Freundin war genauso erschrocken wie sie. Doch sie fasste sich und versuchte ein unsicheres Lachen. »Sieht ja echt lecker aus«, murmelte Amelie.
    Der junge Mann wusch das Blut weg. Dann wischte er sich die Hände an seiner Hose ab. Und reichte die rechte Amelie. »Ich bin Kilian. Und ihr?«
    »Amelie«, flötete sie. Sie berührte seine Hand.
    Er wandte sich an Sabrina. »Sabrina.«
    Täuschte sie sich oder hielt er ihre Hand ein wenig länger in der seinen? Seine Finger waren kalt, unheimlich kalt. Sie wich seinem Blick aus und betrachtete lieber ihre feuchten Schuhspitzen. Noch immer war sie verstört von der Szene, die sie gerade beobachtet hatte.
    »Sabrina«, wiederholte er leise.
    Ihr war, als würde jeder einzelne Buchstabe ihres Namens sich in eine Feder verwandeln, die sanft über ihren Rücken strich. Sabrina. Noch nie hatte jemand ihren Namen so ausgesprochen.
    »Und was machst du hier?«
    Amelies Frage pustete die Federn in alle Windrichtungen davon. Sabrina sah wieder hoch und bemerkte, dass Kilian sich abgewandt hatte. Er begann in aller Seelenruhe, den Fisch auszunehmen.
    »Ich bin auf der Durchreise.«
    »Und wohin?« Amelie rückte ein Stück zur Seite, als Kilian zwei Teller direkt vor ihr zusammenstellte.
    »Das weiß ich nicht.«
    »Stromauf- oder stromabwärts?«

    »Abwärts, würde ich sagen. Ich bin in Duisburg losgefahren.«
    »Also Richtung Süden?«
    »Jep.«
    »Sehr weit nach Süden?«
    Kilian nahm einen Stapel Anziehsachen, die auf der Eckbank gelegen hatten, und machte Sabrina ein Zeichen. »Setz dich.«
    »Ich … Kann ich mir mal die Hände waschen?« Sabrina war immer noch flau im Magen. Im Ausguss schlängelten sich grau-rote Innereien. Der Geruch von Fisch und Blut mischte sich mit der abgestandenen Luft in der Küche. Am liebsten hätte sie das Fenster geöffnet. Doch die Scharniere sahen so aus, als ob das seit zwanzig Jahren niemand mehr versucht hätte.
    Kilian deutete auf den engen Flur. »Hinten, Tür rechts.«
    Sabrina schlüpfte hinaus. Sie fand eine winzige Nasszelle mit Dusche, Toilette und Waschbecken. Alt, abgenutzt, aber sauber. Sie verriegelte die Tür, dann ließ sie sich kaltes Wasser über die Handgelenke laufen und versuchte, klar zu denken. Mein Gott, einen Fisch zu töten, war doch kein Verbrechen. Im Gegenteil: Das arme Tier hatte keine Sekunde gelitten. Der Schlag, der Schnitt, beides war so schnell und präzise gesetzt worden, wie es ein routinierter Angler tat. Er hätte sie vielleicht vorwarnen können. Dann wäre sie jetzt nicht ganz so schockiert.
    Sie richtete sich auf und betrachtete ihr blasses Gesicht in einem winzigen Spiegel. Der tote Fisch war es nicht, der sie so beunruhigte. Es war Kilians plötzlicher Wechsel von Gewalt zu Sanftmut. Wie er ihren Namen ausgesprochen hatte, so leise, fast zärtlich. Auch sein Blick war ganz anders gewesen: fast so, als ob er sich gefreut hätte, sie wiederzusehen. Es war eine merkwürdige, ungewohnte Situation. Bisher war es immer Amelie gewesen, die alle Aufmerksamkeit auf sich gezogen hatte, und Sabrina hatte sich in ihrem Schatten auch recht wohl gefühlt. Doch Kilian hatte alles
verändert. Am liebsten wäre ihr, wenn Amelie gar nicht mehr da wäre …
    Hastig trocknete sie sich die Hände ab. Was für ein absurder Gedanke. Ohne ihre abenteuerlustige Freundin wäre sie noch nicht einmal in die Nähe der Désirée gekommen. Sie

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