Lilienblut
sollte sich viel lieber Gedanken darüber machen, wie sie hier wegkam. Es war ein unheimliches Schiff, von dem etwas Düsteres ausging, das so gar nicht zu Kilians Lächeln passte.
Sie öffnete die Tür und hörte Amelie lachen. Kilian sagte etwas, und Amelie antwortete mit ihrer fremden Stimme, die irgendwie rau und verführerisch klang. Es war ein anderes Spiel, eine andere Liga, in der die beiden sich die Bälle zuwarfen. Unschlüssig blieb Sabrina stehen. Sie hatte keine Lust, jetzt schon wieder auf die Reservebank zurückzukehren.
Genau gegenüber, hinter der Küche, lag das Schlafzimmer. Sagten sie Koje oder Kajüte dazu? Die Tür stand sperrangelweit offen. Es war ein kleiner Raum mit einem Fenster, durch das man kaum etwas erkennen konnte. Das Bettzeug war zerwühlt, und wie es aussah, schlief Kilian alleine. Auch hier schien er es mit der Ordnung nicht sehr genau zu nehmen. Sie warf nur einen kurzen Blick hinein und wandte sich dann nach rechts. Groß waren diese Schifferwohnungen nicht. Zwei Türen lagen am Ende des kurzen Gangs. Die eine war nur einen Spalt breit geöffnet. Sabrina erkannte eine kleine Sitzgruppe und einen Tisch. An der Wand war ein Röhrenfernseher montiert, daneben stand ein Regal, das seinen Inhalt mit Glasscheiben schützte. Einige Bücher waren darin, schwere Biergläser mit aufgedruckter Werbung von Brauereien, ein paar kitschige Andenken. Wieder fühlte Sabrina, dass etwas nicht stimmte. Sie hätte nur nicht sagen können, was. Vielleicht, dass alles so unberührt aussah und so gar nicht zu Kilian passte? Ein Dornröschenschiff, ging ihr durch den Kopf. Genau. Die Zeit war stehen geblieben.
Sie wandte sich ab und betrachtete die letzte Tür. Sie war nicht aus Holz, sondern aus Eisen. Der Anstrich war alt, aber im Gegensatz zum Rest des Schiffes einigermaßen in Ordnung.
Küche, Bad, Wohn- und Schlafzimmer hatte sie gesehen. Was war wohl hinter dieser Tür?
Sie streckte die Hand aus, und in diesem Moment flüsterte jemand hinter ihr: »Nicht.«
Sabrina fühlte sich wie bei etwas Furchtbarem ertappt. Sie fuhr herum und sah direkt in Kilians Augen, die sie mit einem rätselhaften Ausdruck musterten. Auch das noch. Ausgerechnet er erwischte sie dabei, wie sie auf seinem Schiff herumschnüffelte.
»Ich … ähm … hab die Küche nicht mehr gefunden.«
»Ja«, sagte er und grinste sie an. »Ist schon ein verdammt großes Schiff.«
Er sah sie immer noch an. Es war wie in der Sekunde auf dem Marktplatz, als sie in seinem Blick gefangen war und sich nicht davon lösen konnte. Doch dieses Mal war er nicht ärgerlich. Obwohl sein Lächeln verschwand, als würde er es plötzlich vergessen, weil etwas anderes an ihrem Anblick wichtiger wurde. Ihr Herz schlug mit einem Mal doppelt so schnell. Sie wagte kaum zu atmen, weil dieser kostbare Moment sonst vielleicht zerstört würde. Seine Augen waren wie ein klarer, kühler See, in den sie eintauchen und versinken wollte, und was immer sich hinter dieser Tür in ihrem Rücken verbergen mochte, es war sein Geheimnis, das sie respektierte.
»Verlauf dich nicht«, sagte er leise und trat zur Seite, um sie durchzulassen. Doch der Gang war so eng, dass sie ihn mit dem Arm streifte. Er folgte ihr zurück in die Küche, und Sabrina spürte seinen Schatten in ihrem Rücken, als ob er eine warme Berührung wäre.
Amelie sah hoch und warf ihr einen ärgerlichen Blick zu.
»Wollt ihr was trinken?«, fragte Kilian, als er hinter Sabrina auftauchte.
»Nein«, sagte Sabrina.
»Ja«, sagte Amelie.
Kilian holte aus dem Kühlschrank eine Flasche Mineralwasser. Er musterte zwei Trinkgläser gegen das trübe Licht,
das von draußen hereinfiel, bevor er sie vor seinen Besucherinnen auf den Tisch stellte. Amelie verfolgte jede seiner Bewegungen, als wäre das hier ganz großes Kino. Sabrina räumte einen Stapel Zeitungen zur Seite und glitt auf das Polster. Sie bewunderte ihre Freundin, wie souverän sie die Situation meisterte. Noch mehr bestaunte sie Kilian. Da kamen zwei Unbekannte, machten es sich in seiner Küche bequem, und er schien sich gar nicht viel dabei zu denken. Er erwischte sie beim Schnüffeln und verlor kein Wort darüber. Sie warf einen Blick auf die Zeitungen. Die letzte war über eine Woche alt. » Antal dooden Filipijnse veerboot opgelopen « war die Schlagzeile. De Telegraf, ein niederländisches Blatt. So viel zu »komme grade aus Duisburg«. Sabrina sah hoch, direkt in Kilians Augen. Keine Sorge, dachte sie, ich werde kein Wort
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