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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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hat mitbekommen, dass wir da durchgeschlüpft sind. Wenn man uns erwischt?«
    »Uns erwischt keiner. Das war Kollege Zufall vom Ordnungsamt, aber nicht der Ranger. Er müsste blind sein, wenn
er das Loch im Zaun bemerkt, aber an Kilians Schiff vorbeiläuft. Und der würde nicht so seelenruhig da liegen, wenn er aufgespürt worden wäre.«
    »Eben«, antwortete Sabrina. »So groß ist die Werth nicht. Vorne an der Einfahrt, die ganze kaputte Böschung, das sind doch mindestens zehn Anzeichen. Warum fällt die Désirée niemandem auf?«
    Aber Amelie hatte auch darauf eine Antwort. »Weil kein Wochenende ist und deshalb auch kein Ausflugsverkehr. Lass mal gut sein. Da wird nichts passieren. Also ich gehe auf jeden Fall. Du kannst es dir ja noch überlegen.«
     
    Genau das tat Sabrina den Rest des Tages. Am Nachmittag fuhr sie wieder zurück nach Leutesdorf, schlich sich in ihr Zimmer und wusste immer noch nicht, wie sie sich entscheiden sollte. Amelie mochte Kilian. Sehr sogar. Während sie Lukas die kalte Schulter zeigte und ihn zappeln ließ, wäre sie am liebsten gleich bei Kilian eingezogen. Ihre ganze Körpersprache verriet, dass sie ihm näher kommen wollte. Liebe auf den ersten Blick …
    Sabrina fühlte einen Stich im Herzen. Amelie hatte sich in Kilian verliebt. Eigentlich hätte sie das freuen müssen, doch stattdessen fühlte sie fast schon Neid. Sie wollte sich auch einmal verlieben. Nicht nur schwärmen, nein, richtig verlieben. Vielleicht könnte sie dann einmal ganz anders sein: offen, fröhlich, frech, mit einem unwiderstehlichen Lächeln, das wie bei Amelie ihr ganzes Wesen verzauberte. Jemand, der nicht wegrannte, nicht immer wieder wegrannte …
    Sie stand auf und ging zu ihrem kleinen Spiegel, den sie neben dem Fenster an die Wand gehängt hatte. Dort musterte sie sich genau, sah sich tief in die Augen. Was willst du eigentlich?, fragte sie sich. Deiner Freundin ein Gefühl nehmen, vor dem du davonläufst? Kilian sah umwerfend aus, eine Mischung aus Seeräuber, Schiffer und Politologiestudent. Aber er machte sie noch kleiner und unscheinbarer, als sie sich neben Amelie ohnehin schon fühlte. Täppisch und
wortkarg war sie gewesen, darüber hinaus geradezu stümperhaft neugierig, während Amelie munter vor sich hingeplaudert hatte. Die beiden waren ein schönes Paar. Was sollte sie dazwischen?
    Am liebsten hätte sie Kilians Einladung ausgeschlagen. Vor allem, als ihre Mutter sie schon ziemlich früh zum Abendessen rief und ihr die Reste der Geburtstagsrouladen vorsetzte, die vom Aufwärmen leider nicht besser geworden waren.
    Nach drei Bissen ließ Sabrina die Gabel sinken. »Ich muss noch mal weg.«
    Wieder sah ihre Mutter beinahe reflexartig auf die Küchenuhr. »Jetzt noch? Es ist gleich sieben. Du weißt, dass wir morgen den oberen Teil rannehmen müssen. Das Wetter schlägt bald um.«
    Sabrina graute es jetzt schon. »Ich bin heute früher zu Hause. Versprochen.« Sie gab ihrer Mutter einen flüchtigen Kuss auf die Wange und wollte zur Tür hinaus.
    »Siehst du Amelie?«
    »Und wenn?«, fragte Sabrina aggressiver, als sie gewollt hatte. »Spricht irgendetwas dagegen?«
    »Nein. Ich habe ihre Sachen gewaschen und gebügelt. Du könntest sie ihr zurückgeben.« Ihre Mutter deutete auf den kleinen Stapel auf der Bank im Flur.
    »Oh. Danke. Bis später.«
    Im Bus drückte Sabrina die Tüte an sich. Ein schwacher Duft von Weichspüler stieg in ihre Nase und erinnerte sie an frisch bezogene Betten, Gute-Nacht-Küsse und innige Umarmungen. Was war eigentlich los zwischen ihr und ihrer Mutter? Sie wusste es nicht. Und sie würde das Rätsel auch an diesem Abend nicht mehr lösen.
     
    Amelie wartete schon vor der Haustür auf sie. Es war kurz nach acht, ihre Schicht war zu Ende, und sie hatte sich gestylt, als würde sie gleich in die Oper gehen und nicht auf allen vieren durch Zäune kriechen. Ihr rotes Kleid leuchtete hell wie eine Flamme, als sie an den grauen Fassaden der Mietskasernen
vom Waldviertel entlangschlenderte. Sie hatte eine große Sporttasche dabei, fast so eine wie die, die sie zum Baden mitgenommen hatte. Als Sabrina ihr die Tüte mit den frisch gewaschenen Sachen reichte, stopfte sie die achtlos hinein.
    »Was hast du denn da drin?«, fragte Sabrina.
    »Ach nichts. Komm schon. Es ist schon fast acht.«
    Gemeinsam liefen sie die Straße hinunter, vorbei an der »Sonne«. Die Tür der Kneipe stand wieder sperrangelweit offen, die scheppernde Stimme eines sich vor Aufregung fast

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