Lilienblut
in eine eiskalte Faust verwandelte – vielleicht wären sie dann beide tot, erschlagen von dem großen Unbekannten am Ufer des toten Flusses . Von dem Unbekannten, der in den Augen der Ermittler mehr und mehr Kilians Züge annahm.
»Sabrina?«
Die Stimme schreckte sie aus ihren Gedanken. Draußen im Hof rief jemand nach ihr.
»Hier drinnen!« Sie rappelte sich auf.
Die Tür wurde geöffnet und im Gegenlicht erkannte sie den blonden Haarschopf und die kräftige Gestalt von Lukas. Noch bevor er eintrat, schien ihn etwas aufzuhalten, denn er drehte sich plötzlich in die andere Richtung.
»Herr Kreutzfelder?« Ihre Mutter hatte ihn entdeckt und kam aus dem Haus. Sabrina konnte sie nicht sehen, aber sie hörte ihre Schritte näher kommen.
Lukas trat auf sie zu und reichte ihr höflich die Hand. »Ich wollte Sabrina besuchen, wenn es Ihnen recht ist.«
»Aber natürlich. Wie geht es Ihrem Vater?«
»Gut, danke.«
»Grüßen Sie ihn bitte von mir. Ich lasse euch wieder allein.«
Franziskas Stimme klang ein bisschen gönnerhaft. Aber noch bevor Sabrina sich darüber ärgern konnte, war Lukas auch schon in den Anbau geschlüpft und sah sich interessiert um. An diesem Tag trug er ausnahmsweise kein rosa Polohemd, sondern eine hellbraune Wildlederjacke und eine Jeans mit Bügelfalte, wie Sabrina auf den ersten Blick erkannte.
Lukas konnte anziehen, was er wollte, er sah einfach immer aus wie jemand, dem Mama noch im Hinausgehen das letzte Stäubchen von der Schulter klopfte.
»Na, schon alles vorbereitet für die Lese?«
Sabrina bückte sich und holte den Schwamm wieder aus dem Eimer. »Leider nicht. Ich hab noch zu tun.«
Seit der Beerdigung hatten sie sich nicht mehr gesehen. Lukas fuhr mit der Hand über ein Stahlfass und druckste an etwas herum, mit dem er offenbar nicht so ohne Weiteres herausrücken wollte.
»Was willst du?«, fragte Sabrina, die wieder mit dem Putzen begann.
»Mal nach dem Weinberg schauen. Deinem und unserem.«
Kein guter Einstieg. Sabrina presste die Lippen zusammen und arbeitete stumm weiter.
»Wird ein gutes Jahr. Was meinst du?«
»Kann schon sein.«
»Du bist gar nicht auf deinem Berg. Die Leute sagen, du wärst noch kein einziges Mal oben gewesen.«
»Keine Zeit.«
»Wenn euch das zu viel ist, ich kann euch helfen.«
Sabrina unterbrach ihre Arbeit. »Du uns? Seit wann denn das?«
Er blinzelte, als ob ihn diese Frage ernstlich aus dem Konzept bringen würde. »Warum denn nicht?«, fragte er zurück.
»Weil ich ehrlich gesagt noch nie von einem Kreutzfelder gehört habe, der etwas aus reiner Nächstenliebe tut.«
Sie drehte ihm wieder den Rücken zu. Eigentlich hatte sie erwartet, dass er gehen würde. Aber er blieb. Er kam sogar noch ein paar Schritte auf sie zu und sah ihr interessiert über die Schulter. Wahrscheinlich war er echter Arbeit noch nie so nahe gewesen.
»Ist noch was?«, giftete sie, weil seine Nähe sie nervös machte.
»Du hast mich doch gefragt, ob ich was über eine Bahntrasse weiß.«
»Oh.« Sofort regte sich in Sabrina das schlechte Gewissen. Das hatte sie völlig vergessen. Wie aufmerksam von ihm, extra deshalb vorbeizuschauen. »Hast du was rausgekriegt?«
»Noch nicht so richtig. Es sollen vor einiger Zeit Gutachter da gewesen sein. Aber was sie da oben festgestellt haben, liegt offiziell noch nicht vor.«
»Und inoffiziell?«
Er zuckte mit den Schultern. »Ich bleibe dran. Sobald ich was rausbekomme, melde ich mich, okay?«
Das war ja ein großartiges Rechercheergebnis. »Hast du mal deinen Vater gefragt, warum er auf den Berg verzichtet hat?«
»Nein. Wieso willst du das wissen?«
Sabrina nahm die gelben Gummihandschuhe und streifte sie sich über, bevor sie nach der Flasche mit dem Reinigungsmittel für die Tanks griff. »Immerhin hat er sein Angebot erst in letzter Sekunde zurückgezogen.«
Lukas schwieg einen Moment. »Und du meinst, dass es dafür einen Grund geben müsste?«, fragte er dann.
»Die Kreutzfelders haben für alles einen Grund. Es ist doch seltsam, dass ausgerechnet du der größten Konkurrenz deines Vaters helfen willst.«
Lukas biss sich auf die Lippen. Dann ging er zwei Fässer weiter und starrte in den leeren Tank. »Nicht aus Nächstenliebe«, sagte er leise. Seine Stimme wurde durch den Hohlraum verstärkt zurückgeworfen und klang fremd und verzerrt. »Da hast du recht. Ich habe jemanden verloren und du auch. Ich will dir helfen, weil es uns beiden vielleicht hilft. Nenn es berechnend. Ich nenne es den
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