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Lilienblut

Lilienblut

Titel: Lilienblut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Elisabeth Herrmann
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haben, ist er über alle Berge. Es gibt überall Seitenarme und Häfen, in denen nicht so genau hingeguckt wird, falls du verstehst, was ich meine.«
    »Ich habe von Häfen ehrlich gesagt keine Ahnung. Ich weiß nicht, was da möglich ist.«
    »Dann müsstest du mal meinen Großvater hören. Der hat alles in seinem Berufsleben gesehen.«
    »Du hast gesagt, er hätte sich noch an was erinnert?«
    Gemeinsam machten sie sich auf den Weg nach unten. Die Körbe waren schwer und die Riemen drückten auf die Schultern. Beate war offenbar gar nichts gewohnt. Ihr sonst so blasses Gesicht war knallrot angelaufen.
    »Er hat doch immer diese Führungen durch Andernach. Im Sommer, am Tag, als das mit Amelie passiert ist, ist er mit den Leuten auf den Runden Turm geklettert. Als krönenden Abschluss. Wer bis dahin noch nicht schlapp gemacht hat, kriegt
spätestens da oben den Rest. Böse Zungen behaupten, die Malteser wären jeden Samstag von elf bis drei in erhöhter Alarmbereitschaft.«
    Der Wehrturm war eines der Wahrzeichen von Andernach. Er war noch aus dem Mittelalter, hatte sämtliche Angriffe der letzten Jahrhunderte fast unbeschadet überstanden und wurde nun von Vereinen genutzt.
    »Opa ist also bis ganz nach oben auf die Aussichtsplattform gekraxelt. Klettern kann er ja. Die meisten machen schon auf der ersten Etage schlapp, aber an diesem Tag sind tatsächlich zwei Touristen bis zum Äußersten gegangen.«
    Sie erreichten den Trecker und schnallten die Körbe ab. Sabrina kletterte auf die Ladefläche, Beate reichte ihr den ersten Korb hoch.
    »Von da oben sieht man kilometerweit. Von Neuwied bis zur Werth, an klaren Tagen fast bis Frankreich. Jedenfalls, während Opa ihnen in epischer Breite die Geschichte der Stadt anhand ihrer Wehrtürme erzählt, sieht er ein Schiff am toten Fluss liegen.«
    Sabrina hatte den Korb geleert und stellte ihn ab. Das war ja interessant. Es gab also noch einen Zeugen, der Kilians Schiff gesehen hatte.
    Beate reichte ihr die nächste Ladung. »Naja, er hat sich tierisch aufgeregt. Das war wohl früher mal so, dass dort Leute unter der Hand anlegen durften. Die vom Hafen jedenfalls haben oft die Augen zugedrückt.«
    »Jemand vom Hafen muss also gewusst haben, dass dort ein Schiff liegt?«
    »Aber klar. Die sind doch nicht blöd. Das meinte ich mit ›nicht so genau hingucken‹.«
    »Aber warum …« Sabrina leerte auch den zweiten Korb. Dann stellte sie ihn umgekehrt ab und setzte sich darauf. »Warum hat keiner was gesagt? Ich stehe ja mittlerweile da wie eine Lügnerin!«
    »Vielleicht, weil das jemanden ganz schön in die Bredouille bringen kann. Überleg mal: Funk, Flussradar, Wasserschutzpolizei.
Und der Ranger. Mein Großvater vermutet ja eine Massenverschwörung.«
    »Das erklärt immer noch nicht, warum keiner auch nur ein Wort zur Polizei gesagt hat.«
    »Schmiergeld?«
    Sabrina schüttelte den Kopf. »Glaube ich nicht. Nein.«
    »Vielleicht kannten sie ihn? So nach dem Motto: Eine Hand wäscht die andere? Hilf mir mal hoch.«
    Sabrina griff nach ihrem Arm, aber Beate zuckte mit schmerzverzerrtem Gesicht zusammen.
    »Entschuldige. Wir müssen das zu Hause gleich verbinden.«
    Beate schaffte es schließlich, irgendwie auf die halbvolle Ladefläche zu kommen. Die sportlichste war sie jedenfalls nicht, stellte Sabrina fest.
    »Aber wer auch immer das gestattet oder zumindest toleriert hat, müsste doch dann eine Verbindung zu Kilian haben. Oder?«
    »Keine Ahnung. Das könnte man rausfinden. Kennst du jemanden, der da arbeitet?«
    Resigniert schüttelte Sabrina den Kopf. »Nein. Das heißt …«
    Die Sehnsucht kann ein Fluch sein. Schiffe soll man nicht aufhalten.
    »Amelies Vater hat mal da gearbeitet. Aber das ist lange her. Viel zu lange.«
    Beate runzelte die Stirn. »Dann kommt er wohl kaum in Frage. Ich kann dir leider auch nicht weiterhelfen. Meine sozialen Kontakte sind beschränkt. Und Hafenarbeiter darf ich nicht zum Mittagessen einladen. Noch nicht.« Sie lächelte, und da sie langsam wieder eine normale Gesichtsfarbe bekam, sah sie mit einem Mal richtig sympathisch aus.
    Eine Weile saßen die beiden Mädchen schweigend nebeneinander, bis die Dämmerung aus dem Tal auch zu ihnen hochgekrochen war. Schlagartig wurde es bitterkalt. Franziska kam mit dem letzten Korb, und als der geleert und ordentlich verstaut war, setzte sie sich ans Steuer, und alle zuckelten zusammen hinunter auf den Hof.

    Beate verabschiedete sich so höflich von Sabrinas Mutter, dass es schon fast ein

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