Lilienblut
sie aufmunternd an, aber Sabrina presste die Lippen aufeinander. Wie hätte das denn geklungen, wenn sie ihm erzählen würde, dass Amelie immer noch da war? Dass sie fast jeden Tag in ihr Tagebuch schaute, völlig zusammenhanglos, aber dass die Sätze, die Amelie geschrieben hatte, tatsächlich Antworten auf all die wichtigen und unwichtigen Fragen waren, die sie ihr gerne noch gestellt hätte? Das konnte sie niemandem erzählen. Lukas nicht, Beate nicht, ihrer Mutter nicht, und erst recht keinem Psychologen.
Michael nickte. Er wartete noch einen Moment, ob Sabrina ihr Schweigen doch noch durchbrechen würde. Als das nicht geschah, stand er auf. »Ich wollte Franziska fragen, ob sie nächstes Wochenende mal mit mir wegfahren will. Was meinst du? Habe ich Glück?«
Sabrina stand auf und folgte ihm. Der Tannenbaumverkäufer
schickte ihnen noch einen bedauernden Blick hinterher. Solche Kunden hatte er wohl gerne – nix kaufen, aber warm sitzen.
»Das weiß ich nicht«, antwortete sie wahrheitsgemäß. »Probier es doch einfach.«
»Hättest du denn etwas dagegen?«
Er bot ihr wieder seinen Arm an, und Sabrina hängte sich bei ihm ein.
Sie dachte kurz nach. »Nö. Warum sollte ich?«
Als sie zu den anderen zurückkamen, waren Beate und der Richter gegangen. Franziska unterhielt sich mit Kreutzfelder senior, und es war wohl ein ernstes Gespräch, denn sie sah auf ihre Fußspitzen, nickte, hörte, was er leise sagte, aber sie schaute ihm nicht in die Augen. Lukas eilte zwischendurch immer wieder davon, wenn neue Weinkisten herangeschafft oder die Tische abgeräumt werden mussten. Als er Sabrina sah, nahm er sie im Vorübergehen kurz in die Arme. Ausgerechnet in diesem Moment gab es eine kleine Lücke in dem Gedrängel um sie herum, und sein Vater hatte freie Sicht auf sie und seinen Sohn. Mit einem Lächeln nickte er ihr zu und gab einen, wie es aussah, wohlwollenden Kommentar an Franziskas Adresse ab.
Soso, Kreutzfelder senior hatte also auch nichts gegen den Grand Cru einzuwenden. Ihre Mutter nickte, dann schlüpfte sie wieder hinter dem Tresen hervor und drängelte sich zu Michael durch. Sabrina wollte gerade fragen, was sie denn so Ernstes zu besprechen gehabt hatte, da bemerkte sie, wie Franziska und Michael miteinander tuschelten und verstohlen lachten. Kreutzfelder schien vergessen. In diesem Moment hatten die beiden nur Augen füreinander. Mit einem Seufzen schob sich Sabrina das letzte, kalt gewordene Stück Flammkuchen in den Mund. Lukas war schon wieder am Nebentisch, aber er schaute sich immer wieder nach ihr um.
Michael zog die Autoschlüssel aus der Tasche. »Wir fahren jetzt.«
Schon war Lukas wieder zur Stelle. »Schade. Wartet doch noch eine Minute. Ich will Sabrina was fragen.«
Lukas nahm die Schürze ab, knäulte sie zusammen und warf sie über die Köpfe der anderen hinweg seinem Vater zu. Er zog sie mit sich in die Eingangshalle. Neben dem Kamin stand ein riesiger Weihnachtsbaum, hinter dem er mit ihr verschwand.
»Sabrina, ich bleibe noch. Mein Vater braucht Hilfe. Hast du was dagegen?«
Noch bevor sie antworten konnte, nahm er sie in den Arm und küsste sie. Die Tannenzweige schirmten sie vor den Blicken ab. Wieder fiel ihr auf, wie angenehm es war, in seinen Armen zu liegen. Solange niemand dabei zuschaute. Beschützt und geborgen fühlte sie sich, wie eine Katze, die sich auf der Heizung zusammenrollte. Lukas war einer der Männer, gegen die niemand etwas einzuwenden hatte. Ein bisschen zu nett vielleicht, aber seit wann war das ein Grund, nicht in die engere Auswahl zu kommen?
Seine Hand strich ihren Rücken entlang, dann suchte sie sich einen Weg unter ihren Pullover.
»Ähm …« Sabrina wand sich aus seiner Umarmung. Nur nett war er auch nicht. Er konnte auch frech werden.
Sofort ließ er sie los. Auch das war ein sympathischer Zug an ihm. Nie ging er weiter als bis zu dem Punkt, den Sabrina zulassen wollte.
Sie lächelte ihn entschuldigend an. »Es sind einfach zu viele Leute hier.«
Er zog sie wieder an sich. Diesmal blieben seine Hände an ihrer Taille liegen. »Ich will mit dir allein sein«, flüsterte er.
Etwas in Sabrina zog sich zusammen. Sie wusste nicht, ob es Aufregung, Schreck, Überraschung, Freude oder eine krude Mischung aus allem zusammen war. Er drängte sich noch näher an sie.
»Ich will mit dir zusammen sein. Ich kann warten. Sag mir nur, wie lange.«
Wieder küsste er sie. Ganz behutsam und zärtlich. In
Sabrina regte sich ein Hauch schlechtes
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