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Lilienrupfer

Lilienrupfer

Titel: Lilienrupfer Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marie Velden
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Zug.
    Den ganzen Tag hatte ich mir verboten, auch nur einen einzigen Gedanken daran zu verschwenden, weil ich wusste, wie schnell ich mich rühren ließ. Ich kenne mich gut, ich gehöre zu denen, die die Hand immer zuerst ausstrecken. Aber Christian gegenüber wollte ich nicht versöhnlich sein. Egal, was er durchgemacht hatte.
    ***
    Am nächsten Tag wollte sich noch immer kein Hochgefühl einstellen. Ich blieb stumm an diesem Morgen und ging auch nicht ans Telefon, als es klingelte. Insgeheim verwünschte ich mich für meine Neigung, der Melancholie immer den Vorrang zu geben, auch wenn auf der anderen Seite der Waage mehr als nur
ein
Pfund wucherte. Aber es half nichts, alles, woran ich immer wieder dachte, war Christian und dieser kurze Moment in dem Restaurant am See, als wir uns über die anderen hinweg zugelacht hatten und ich jenes besondere Glück empfand, das einen selbst über alles erhebt und den Rest der Welt ein paar Augenblicke lang ausschließt.
    Und dann stellte ich fest, dass ich mich nach allem sehnte. Auf eine Weise, die meine Nerven zum Zerreißen dehnte. Nach Christians kräftigem Körper, seinem Bauch, der sich an meinen Rücken schmiegte, seinen Armen und wie sie mich gehalten hatten in diesem Moment danach, in dem die Welt plötzlich still zu stehen schien und ich mir gewünscht hatte, für immer in diesem Kokon aus Körper und Atem beschützt und gewärmt zu sein.
     
    Später klingelte es an meiner Tür. Es war Julia, die draußen stand. Einen erwartungsvollen Schimmer in den Augen und eine Flasche Valdobbiadene in der Hand.
    »Ich will mit dir feiern«, sagte sie, bevor sie stutzte und mich prüfend musterte. »Du siehst nicht gerade glücklich aus. Gibt es dafür einen Grund?«
    »Mach die Flasche auf«, antwortete ich. »Ich hole die Gläser.«
    Als ich aus der Küche zurückkam, hatte sie ihre Schuhe ausgezogen und saß mit angewinkelten Beinen auf dem Sofa. Ich setzte mich daneben und hielt ihr mein Glas hin.
    »Prost«, sagte ich und nahm den ersten Schluck.
    »Prost«, antwortete sie. »Und jetzt leg mal los.«
    »Also   …«, begann ich und erzählte ihr alles.
    »Und wie war ____ ______? Komm schon, gib mir ein paar Details!«
    »Sehr nett«, sagte ich. »Auf eine besondere Art sanft, mit klugen, humorvollen Augen und einem schönen Lachen.«
    »Oho   …«, machte sie und dann: »Siehst du ihn noch einmal wieder?«
    »Ich denke schon. Er und Rebecca wollten noch für ein paar Tage bleiben und sich melden.«
    »Wahnsinn.« Versonnen blickte Julia durch ihr Glas hindurch. »Du und ____ ______. So etwas gibt es ja eigentlich gar nicht.«
    »Nein, eigentlich nicht.«
    »Und du bekommst auch noch Geld dafür.«
    »Ja, verrückt, nicht?«
    »Und warum siehst du dann so aus, als hättest du Migräne?« Julia richtete sich auf und musterte mich aufmerksam.Ich setzte mein Glas ab, nahm mir eine Zigarette und antwortete:
    »Christian ist der Übersetzer.«
    »Christian ist der was?«
    »Ja, der Übersetzer. Der Lilienrupfer persönlich.«
    »Nein.«
    »Doch. Er übersetzt _____s Romane schon seit Jahren. Und diesen auch.«
    Julia schwieg ein paar Sekunden lang und sah in ihr Glas, als erblicke sie in den aufsteigenden Prosecco-Perlen die Zukunft. Dann hob sie ihren Blick und sagte überzeugt: »Das ist Schicksal, Undine.«
    »Denk noch nicht einmal daran«, gab ich zurück und drückte die Zigarette aus. »Ich tu’s auch nicht.«
    »Warum nicht?«
    »Als müsste ich dir das erklären. Du hast es damals miterlebt. Darf ich dich an deine eigene Frage erinnern: ›Glaubst du, dass ein Mensch sich ändert?‹ Ich glaube nicht daran. Ein Mensch ist, wie er ist. Vor allem ab einem bestimmten Alter. Ich habe meine Zeit mit Christian gehabt, sie ist vorbei, und das soll sie auch bleiben. Er wollte mich damals nicht, weshalb sollte er das heute? Was dir da durch den Kopf schwebt, ist ein romantischer Traum, mehr nicht.«
    »Und wie willst du ihm begegnen?«
    »Wem? Dem Traum?«
    »Nein, Christian.«
    »Gar nicht. Wenn ich es verhindern kann, dann wird er dieses Buch weder lesen noch übersetzen.«
    »Und wie willst du das schaffen?«
    »Ich werde mit der Lektorin sprechen und fragen, ob es nicht effektiver sei, das Buch von einer Frau übersetzen zulassen, da es aus weiblicher Sicht geschrieben ist.« Der Gedanke war mir eben erst gekommen, aber vielleicht war er die Lösung.
    »Und wenn sie Nein sagt?«
    »Darüber denke ich jetzt nicht nach.«
    »Wir werden sehen«, sagte Julia

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