Lilientraeume
merkt, dass sie wirklich ganz alleine dasteht und dass es kein Zurück mehr gibt. Dad meint, sie würde erst jetzt erkennen, was sie verloren hat. Er stellte ihr einen Scheck über fünftausend Dollar aus unter der Bedingung, dass sie sich nie mehr mit mir in Verbindung setzt. Außer ich wünsche es. Sie soll ihm ihre Adresse mitteilen, sobald sie irgendwo eine Bleibe gefunden hat.«
»Typisch Willy B.«
»Zunächst konnte ich nicht verstehen, warum er ihr überhaupt Geld geben wollte, aber später hat er es mir erklärt. Weil er ihr ewig dafür dankbar sei, dass sie mich zur Welt gebracht hat, und weil er sie in ihrer Trauer letztlich bemitleidet. Er ist einfach ein grundgütiger Mensch.«
»Und der beste Dad, den man sich wünschen kann. Aber nicht der einzige Mensch, der an dich denkt.«
»Ich weiß, und dafür bin ich dankbar. Auch wenn es gerade nicht so aussieht und ich alle Freunde vor den Kopf gestoßen habe. Vor allem dich. Bloß kehrten all die bösen Gefühle der Unzulänglichkeit mit einem Mal wieder zurück, und ich dachte, ich müsste alleine damit fertig werden.«
Er wartete einen Moment. »Darf ich etwas dazu sagen?«
»Meinetwegen.«
»Nicht du bist unzulänglich, sondern sie. Und zwar weil sie dich verlassen und sich vor der Verantwortung gedrückt hat. Dadurch entging ihr wiederum der ganze Reichtum, den ein Kind bedeutet, und deshalb ist sie jetzt arm dran. Eine Tochter, die sie ohne Vorbehalt und bedingungslos liebt, wäre ihr in einer schwierigen Situation ein Trost. Und sie müsste sich nicht ganz verlassen fühlen. Das alles hat sie durch eigene Schuld verspielt. Sie ist unzulänglich, Avery, nicht du.«
»Ja, schon …«
»Ich bin noch nicht fertig. Sie hat auch deinen Vater verlassen und sich einem anderen zugewandt. Hat Willy sich deshalb unzulänglich gefühlt und sich die Schuld gegeben? Ich denke nicht. Er ist selbstbewusst geblieben wie eh und je und hat sich bestimmt nicht in seinem Wert herabgesetzt gefühlt. Und so musst du es ebenfalls halten. Nimm dir ein Beispiel an ihm.«
In ihrem Innern löste sich ein Knoten. »Es hilft mir, wenn du das sagst.«
»Eines will ich abschließend hinzufügen: Ob glücklich oder traurig, wütend oder fröhlich, du bist immer du selbst. Und falls du dir einbildest oder dir wünschst, ich würde dich nur mögen, wenn es keine Probleme gibt, dann irrst du gewaltig. So laufen die Dinge nämlich bei mir nicht. Unsere Beziehung war nie oberflächlich und wird es nie sein. Erst recht nicht, seit sie sich in eine neue Richtung bewegt.«
Ein Gefühl der Scham überkam sie. »Ich ha b ’s vermasselt.«
Er grinste. »Dieses eine Mal verzeih ich dir noch.«
»Danke. Dafür hast du einen groben Schnitzer bei mir gut.«
»Ich werde dich zu gegebener Zeit daran erinnern. Und jetzt noch eine letzte Sache: Denk bitte nicht mehr darüber nach, warum deine früheren Beziehungen gescheitert sind. Jetzt geht es bloß um dich und mich. Und falls du zu dem Ergebnis kommst, dass es nicht funktioniert, ziehst du dich gefälligst nicht einfach zurück, sondern sagst es mir ins Gesicht. Ich bin nicht irgendein Loser, den du abschütteln musst. Was du allerdings versucht hast.«
»Ich weiß nicht, ob das Absicht war. Und ich weiß auch nicht, was ich wirklich damit bezwecken wollte. Vermutlich hab ich einfach nicht nachgedacht. So oder so lief jedenfalls alles in die völlig falsche Richtung. Denn ja, es geht um dich und mich und um sonst nichts.« Sie legte eine Hand an sein Gesicht. »Und ich geb dir mein großes Ehrenwort, in Zukunft immer offen zu dir zu sein.«
Bei diesen Worten rückte sie näher an ihn heran, ließ sich auf seinen Schoß ziehen und schlang die Arme um seinen Hals. »Ich bin wirklich froh, dass du dich wie ein Tyrann benommen und mich einfach aus dem Restaurant geschleift hast. Auch wenn das ein bisschen peinlich war, fühl ich mich jetzt total erleichtert.«
»Du hast mir keine andere Wahl gelassen mit deinem schwachsinnigen Benehmen.«
»Es macht es für mich nicht leichter, wenn ich zu allem Überfluss beschimpft werde. Und außerdem: Durch deinen Anruf bei Beckett hast du schlafende Hunde geweckt. Dein Bruder will bestimmt ganz genau wissen, was bei uns los war.«
»Ach was, er freut sich schlicht und ergreifend über das Trinkgeld, das er als Pizzalieferant bekommen hat. Bei drei Kindern kann man jeden Cent gebrauchen«, sagte er grinsend.
Lachend nahm sie seine Hand, die er sogleich mit einem Schmerzenslaut zurückzog.
»O
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