Lilientraeume
kommen.
»Und deshalb kann sie das Haus nicht verlassen. Diese Liebe hält sie hier fest, weil sie übermächtig und magisch ist und wichtiger als alles andere. Weil sie einfach …«
Krachend flog die Tür in ihrem Rücken auf und schleuderte Avery gegen Owens Brust. Er schlang die Arme um sie, damit sie nicht das Gleichgewicht verlor. Sie legte den Kopf in den Nacken und sah ihm in die Augen. »Weil diese Liebe alles für sie ist«, flüsterte sie.
Er sagte keinen Ton. Ein eisiger Wind wehte durch die offene Tür in ihrem Rücken und schlug die Tür zum Gang zu. Sie aber standen einfach weiter eng umschlungen da, und mit einem Mal lag sein Mund auf ihren Lippen, und sie fuhr ihm mit den Fingern durch das dichte Haar. Heiß und wild war sie, voller Strahlen, voller Energie und voller Glut. Avery, wie sie leibte und lebte.
Er spürte nichts anderes mehr als ein fast verzweifeltes Verlangen. Das Blut schoss wie Feuer durch seine Adern, setzte ihn in Flammen und drohte, ihn zu versengen. Ihr köstlicher Geschmack, ihre sinnlichen Bewegungen, ihre fordernd-erwartungsvollen Lippen und der Duft von Zitrone, der sich plötzlich mit dem von Geißblatt mischte.
Sie hielt ihn fest umklammert, ließ sich von ihrer beider Erregung mitreißen in Richtung eines unbekannten Zieles, während sie zugleich in diesem wunderbaren Augenblick gefangen war.
Bis er sich plötzlich schwer atmend von ihr losriss und auf sie herabschaute, als sei er aus einer tiefen Trance erwacht. »Was tun wir da?«, flüsterte er. Doch im Grunde war es vollkommen egal, und so zog er sie erneut dicht an sich heran, hielt sie, als wolle er sie nicht mehr loslassen.
Ein lautes Klopfen an der Tür ließ sie verstört auseinanderfahren. »Owen? Avery?«, hörten sie Beckett rufen. »Was ist da drinnen los? Macht die verdammte Tür auf.«
»Warte.« Nur widerstrebend gab er sie frei und trat mit angehaltenem Atem zur Tür und öffnete sie.
»Was zum Teufel war hier los?«, wollte Beckett wissen, doch ein Blick auf die geöffnete Balkontür sagte ihm alles. Von allen drei Brüdern kannte er sich am besten aus mit Lizzy.
»Murphy hat gesagt, dass ihr beide hier drinnen seid. Alles in Ordnung?«
»Ja, abgesehen von unserer kleinen privaten Geisterstunde schon. Auf den Schreck können wir ein Bier gebrauchen. Gehen wir gemeinsam rüber?«
»Okay. Wir sehen uns dann im Vesta.« Beckett musterte die beiden durchdringend und wandte sich zum Gehen.
»Ich schätze, das war etwas seltsam«, sagte Avery, sobald er weg war. »Ich meine nicht nur das mit den Türen und so.«
»Findest du?«
»Ja, irgendwie schon. Sicher war all das Gerede über Liebe und Romantik daran schuld.«
»Er schaute sie nur schweigend an.«
Sie atmete tief durch und trat entschlossen auf ihn zu. »Ich möchte nicht, dass zwischen uns irgendetwas seltsam ist.«
»Okay.«
»Vielleicht sollten wir besser verschwinden. Aus diesem Zimmer, meine ich.«
»Okay.«
Sie boxte ihm gegen die Brust. »Ist das alles, was du sagen kannst? Okay, okay?«
»Im Augenblick erscheint mir das am sichersten.«
»Am sichersten, sehr witzig.« Sie stieß einen abgrundtiefen Seufzer aus. »Es wird zwischen uns wieder alles ganz normal werden, aber sag jetzt bitte nicht wieder okay.«
Mit diesen Worten schlüpfte sie zur Tür hinaus, sprang leichtfüßig die Treppe hinunter und lief nach draußen.
»Okay«, murmelte er leise und schloss sorgfältig alle Türen, als er ging. Täuschte er sich, oder lachte hinter seinem Rücken wirklich eine Frau?
4
Der Winter hielt Boonsboro weiter fest im Griff und brachte neben einem klarblauen Himmel klirrende Kälte, bei der selbst der kleinste Atemzug schmerzte.
»Ich will nichts mehr von irgendwelchen Änderungen oder Verschönerungen hören«, murmelte Ry, als er mit seinen Brüdern über die Außentreppe in den ersten Stock stieg.
»Komm einfach mit.« Beckett führte seine Brüder ins Jane-und-Rochester-Zimmer.
»Wie viele Kisten sind das denn noch.« Ryder stopfte seine Hände in die Hosentaschen. »Mom hat offenbar genug Lampen, Spiegel, Regale und anderen Kram gekauft, um die die halbe Stadt damit zu versorgen.«
»Also, Beck, was gibt’s für ein Problem?«, warf Owen ein. »Warum hast du uns hergeschleppt?«
»Beruhigt euch, ich wollte bloß in Ruhe mit euch reden, und das ist derzeit nur in diesem Raum möglich. Außerdem bist du gestern urplötzlich verschwunden, bevor wir anderen auch nur mit unserer Pizza fertig waren. Also, was in aller Welt
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