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Lilith Parker: Insel Der Schatten

Lilith Parker: Insel Der Schatten

Titel: Lilith Parker: Insel Der Schatten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Janine Wilk
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dort hinaufgehen sollte?

    Ehe sie es sich anders überlegen konnte, hatte sich Hannibal schon an ihr vorbeigedrückt und lief aufgeregt die Stufen nach oben. Anscheinend durfte er nicht oft auf den Dachboden. Lilith folgte ihm und konnte gerade noch sehen, wie er in einem Gewirr alter Schränke und Truhen, barocker Stühle mit aufgerissenen Bezügen und aufgerollter Teppiche verschwand. Spinnweben spannten sich quer durch den Raum und das einzige Licht drang durch das Loch des Daches, das von innen mit einer stabilen Plane abgedichtet war. Ein verschlissener Teddybär ohne Arme lag direkt vor Lilith im Staub, in den Regalen warteten Bücher mit alten Ledereinbänden wohl schon seit Jahrzehnten auf einen neuen Leser und das verbeulte Grammophon in der Ecke würde wohl niemals mehr einen Ton von sich geben.
    Lilith blieb stehen. Für einen Moment hatte sie das Gefühl, auf einer Art Friedhof gelandet zu sein. Hier verfielen die früheren Schätze und Antiquitäten von Generationen der Parker-Familie. Es war ein Raum der Vergangenheit, während diejenigen, denen diese Dinge einst gehörten, in Vergessenheit geraten waren. Lilith schauderte.
    »Hannibal?«
    Sie hörte ein gedämpftes Bellen. Um ihr Gesicht vor den Spinnweben zu schützen, schlängelte sie sich mit ausgestreckten Armen durch das Chaos. Jahrealter Staub wirbelte auf, tanzte in der Luft und kitzelte Lilith in der Nase, sodass sie mehrmals niesen musste.
    Sie fand Hannibal schließlich, wie er aufgeregt schnüffelnd um eine alt aussehende dunkle Holztruhe mit schweren Eisenbeschlägen herumlief.
    Lilith zog erstaunt eine Augenbraue hoch. »Du willst, dass ich hier reinschaue?«
    Hannibal bellte erneut und blickte sie erwartungsvoll an.
    Lilith kniete sich nieder. Mit klopfendem Herzen umfasste sie den Deckel.
    Die Truhe war nicht abgeschlossen, doch die rostigen Scharniere beschwerten sich mit einem lang gezogenen Quietschen, als Lilith den Deckel anhob.

    Schulter an Schulter steckten Lilith und Hannibal ihre Köpfe in die Truhe – allerdings lief Lilith im Gegensatz zu Hannibal vor Begeisterung nicht die Spucke aus dem Maul. Die Truhe beherbergte ein wildes Sammelsurium aus getragenen Kleidern, polierten Steinen, alten Spielsachen und einer einäugigen Puppe.
    »Tut mir leid«, sagte Lilith, während sie in den Sachen herumwühlte. »Aber hier sind keine Schuhe. Außer …« Sie hielt inne und zog mit spitzen Fingern einen alten grünen Gummistiefel hervor, der einen äußerst unangenehmen Geruch ausströmte. »Igitt!«
    Hannibal bellte begeistert. Ehe Lilith es verhindern konnte, hatte der Hund ihr den Stiefel entrissen, jagte mit seiner Beute davon und polterte die Stufen des Dachbodens hinab.
    »Hey, wie wäre es mit einem Dankeschön?«, rief sie ihm hinterher, doch von Hannibal war nichts mehr zu hören. Wahrscheinlich hatte er sich mit dem Stiefel schon in ein ruhiges Eckchen zurückgezogen.

    Mit einem zufriedenen Lächeln wandte sich Lilith wieder der Truhe zu und wollte sie gerade schließen, als sie eine kleine schimmernde Dose entdeckte. Liliths Finger glitten bewundernd über die perlmuttfarbenen Muschelbruchstücke, die ein kunstvolles Mosaik bildeten und je nach Lichteinfall blau und rosa schillerten. Als Lilith den Deckel anhob, begann eine Spieluhr eine sanfte Melodie zu spielen, zu der sich eine kleine Meerjungfrau im Kreis drehte. Lilith erkannte das Musikstück, da es ihr Vater sich immer wieder an trüben, verregneten Tagen anhörte – es war eine Melodie aus Händels Wassermusik. Im Deckel der Dose war ein Bild festgemacht, das drei fröhlich lachende Kinder in einem Garten zeigte. Die Farben des Fotos waren vergilbt, als ob es zu lange in der Sonne gelegen hätte. Lilith stutzte.
    War das nicht ihr Vater als kleiner Junge?
    Doch, natürlich! Auch wenn er auf dem Bild vielleicht erst sechs, sieben Jahre alt gewesen war, so erkannte sie ihn doch eindeutig wieder. Und das hochgewachsene Mädchen, das etwa in Liliths Alter war, musste Mildred sein. Lilith hatte sich also nicht getäuscht – ihre Tante war tatsächlich älter als ihr Vater! Das kleine Mädchen in ihrer Mitte kannte Lilith jedoch nicht. Joseph und Mildred hielten es beide an den Händen in die Höhe und das etwa drei Jahre alte, blond gelockte Mädchen hatte ein freudiges Strahlen im Gesicht.
    Lilith sah sich um und vergewisserte sich, dass sie noch immer alleine war, bevor sie das Foto vorsichtig aus dem Deckel der Spieldose löste. Auf seiner Rückseite stand in

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