Lilith Parker, und das Blutstein-Amulett (German Edition)
Wie Vadim prophezeit hatte, war er recht schmal, aber für Liliths schlanken Körper sollte es ausreichen. Ihr blieb sowieso keine andere Wahl, sie musste es versuchen, und zwar schnell: Der Drang, Luft zu holen, wurde mit jeder Sekunde, die verstrich, quälender. Mit dem Kopf voraus zwängte sich Lilith durch den Spalt, doch er war enger, als sie vermutet hatte – schon auf der Höhe des Brustkorbes verkeilte sie sich mit angelegten Oberarmen zwischen den scharfkantigen Felsen. Sosehr sie sich auch wand und mit den Beinen strampelte, sie kam weder vor noch zurück. Die Panik brach mit solcher Gewalt über sie herein, dass sie unter Wasser einen unkontrollierten Schrei ausstieß, der ihr die verbliebene Luft aus den Lungen presste. Und zu ihrer Überraschung spürte Lilith, wie sie sich im selben Moment eine Winzigkeit nach vorne bewegte. Sie schöpfte wieder Hoffnung und verdoppelte ihre Anstrengungen, sich zu befreien. Wie ein Aal drehte und schlängelte sie sich durch den Felsspalt, Stück für Stück an Freiheit gewinnend. Sobald sie mit der Hüfte den Durchgang passiert hatte, brauchte es nur noch einen einzigen Schlag ihrer Beine, um sich auf die andere Seite zu stoßen. Endlich, sie befand sich wieder in Chavaleen!
Leider währte ihr Glücksgefühl nicht lange, denn der Sauerstoffmangel forderte seinen Tribut. Ihr Blick wurde getrübt durch seltsam grelle Blitze und der Schmerz in ihrer Brust schien sie von innen zu zerreißen. Die Versuchung, Luft zu holen, wurde fast übermächtig, obwohl sie wusste, dass sich ihre Atemwege mit Wasser füllen würden, wenn sie diesem Verlangen nachgab. Die Strömung zerrte auf dieser Seite deutlich stärker an ihr und Lilith musste aufpassen, dass sie nicht mitgerissen wurde. Sie brauchte nur noch nach oben zu schwimmen, machte sie sich selbst Mut, dann hatte sie es geschafft! Aber ihrem Körper fehlte die Kraft, weiterzukämpfen.
Benommen vom Sauerstoffmangel und geblendet von der Helligkeit der Unterwasserlichter verlor sie für einen Moment die Orientierung, trieb hilflos im Wasser und wurde von der Strömung erfasst. Sie wusste, dass dies ihr Ende war. Liliths Augenlider wurden immer schwerer, doch bevor sie endgültig das Bewusstsein verlor, entdeckte sie vor sich ein Gesicht, das bei ihrem Anblick ein seliges Grinsen aufsetzte.
Der Tod, dachte sie mit letzter Kraft. Ich kann ihn auch sehen!
Moment mal … Der Tod hatte doch nicht exkrementenbraune Gesichtswarzen? Und auch nicht lange weiße Ohrhaare, einen Hängebauch und kleine Wurstfinger, die eisern ihr Handgelenk umklammert hielten. Wenn der Tod so hässlich war, wunderte es Lilith nicht, dass so viele Angst vor ihm hatten.
Abgesehen davon schien er darum bemüht zu sein, sie nach oben zu zerren, was der natürlichen Berufung des Sensenmannes eindeutig widersprach.
Ehe sie es sich versah, griff ein weiteres, deutlich kräftigeres Paar Hände nach Lilith, das ihre Taille umfasste und sie in die rettende Höhe trug.
Als sie gemeinsam die Wasseroberfläche durchstießen, schnappte Lilith nach Luft und sog so begierig den Sauerstoff ein, dass sie sofort einen schmerzhaften Hustenanfall bekam und prustend das Wasser ausspie, das sich schon seinen Weg in ihre Lunge gebahnt hatte.
»Ich hab dich!«, keuchte Matt und zog sie in seine Arme. »Ganz ruhig! Ich bring dich ans Ufer.«
Gemeinsam mit Strychnin half er Lilith, sich den Anlegesteg hochzuziehen, wo sie entkräftet auf den Holzbohlen liegen blieb.
»Das hat aber lange gedauert!«, beschwerte sich Vadim, der unruhig neben ihr auf und ab schwebte. »Für jemanden, der kein Wasser mag, hattest du es anscheinend nicht sehr eilig, dort wieder herauszukommen.«
Lilith verzichtete auf eine gepfefferte Entgegnung, die außerdem den zentralen Punkt »Die Unmöglichkeit des Auffindens einer winzigen Felsspalte in absoluter Finsternis« enthalten hätte. Jetzt war es wichtiger, dass sie sich auf eine gleichmäßige Atmung konzentrierte, und darauf zu hoffen, dass der Schwindel und die Schwere in ihren Gliedern bald nachließen.
Schockiert starrte Matt auf ihr zerfetztes T-Shirt und auf die Wunden, die der Kraghul mit seinen Krallen hinterlassen hatte. »Bist du schwer verletzt?«
»Es geht schon, die Wunden sind zum Glück nicht besonders tief«, brachte sie mit krächzender Stimme hervor. »Woher … woher wusstet ihr, dass ich Hilfe brauche?«
»Wegen der Fledermaus, die du Rebekka geschickt hast, wollten wir uns noch einmal auf die Suche nach dir machen«,
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