Lilith Parker, und das Blutstein-Amulett (German Edition)
hatte keine Ahnung, wie sie ihren Teller auch nur zur Hälfte leer bekommen sollte.
Matt erging es wohl ähnlich, denn er spielte auf dem Tisch gedankenverloren mit seinem Löffel und führte lieber die Unterhaltung über die Kraghuls fort: »Wieso wurde die Prägung zu einem Problem?«
»Weil auch ein Vampir irgendwann einmal sterben muss und danach ist der Kraghul ohne einen Herrn, was gleichzeitig bedeutet, dass er nicht mehr unter Kontrolle zu bringen ist. Sie müssen getötet werden, ehe sie in der Bevölkerung ein Blutbad anrichten können.« André hob abwehrend die Hände. »Bitte seht mich nicht so schockiert an. Mein Vater hat schon einen Gesetzesentwurf ausgearbeitet, der die Haltung der Kraghuls endgültig verbietet. Traditionalisten wie Razvan wollen das natürlich verhindern, trotz der Gefahr, die von denjenigen Kraghuls ausgeht, die nach dem Tod ihres Herrn entkommen sind.«
Lilith schnappte nach Luft. »Sie sind in Freiheit?«
André nickte bekümmert und sah reflexartig zum Fenster, das in Richtung des Hadesboulevards zeigte. »Sie sind irgendwo da draußen im Höhlensystem außerhalb Chavaleens. Aber keine Angst, sie können nicht hierhergelangen! Zwar kann man die Stadt trotz des Schutzschildes verlassen, aber es hält jeden Eindringling fern, egal ob Vanator oder Kraghul. Trotzdem können wir froh sein, dass diese Viecher Hybriden sind und sich nicht ohne unser Eingreifen fortpflanzen können.«
Als Razvan wieder mit missmutiger Miene hereinkam und sich setzte, begann Igor gerade die Vorspeise abzuräumen.
»Hat die Suppe nicht geschmeckt, Mylady?«, fragte der Diener bestürzt.
»Doch, natürlich«, beteuerte Lilith und spürte, wie sie bei der Lüge errötete. »Bedauerlicherweise habe ich kaum Hunger. Darf ich fragen, was Sie uns da für eine schmackhafte Suppe serviert haben?«
»Gerstengrassuppe!«, erklärte Igor stolz, anscheinend wurde sein Essen nur selten gelobt. »Es enthält viermal mehr Eisen als Spinat, und wie Sie vielleicht wissen, ist eine eisenhaltige Ernährung der Gesundheit eines Vampirs sehr zuträglich. Ich vertrete sogar die Meinung, dass der Bedarf an frischem Blut erheblich verringert wird.«
»Das sehe ich aber anders«, raunte Matt ihr zu. »Wenn er noch mehr von diesem ungenießbaren Zeug serviert, werde ich als Dessert für die Vampire wahrscheinlich immer verlockender.«
Der Hauptgang wurde serviert, zu Ehren der Gäste eine rumänische Spezialität namens Pastram, die aus geräuchertem Rindfleisch im Paprikamantel bestand, und zu Liliths Erleichterung sogar äußerst lecker war.
»Wie gefällt es dir in Chavaleen, Lilith?«, fragte Tatjana Codrea, eine freundliche ältere Dame, die gemeinsam mit ihrem Mann einen weiteren Stadtteil Chavaleens verwaltete.
»Es ist sehr beeindruckend«, antwortete Lilith ehrlich begeistert. »Offen gestanden hat es mich überrascht, wie modern die Stadt ist und wie aufgeschlossen ihre Bewohner. In Bonesdale steht man technischen Neuerungen eher skeptisch gegenüber, und bevor es dort ein Kino gibt, vergehen wohl noch ein-, zweihundert Jahre.« Sie stieß bedauernd die Luft aus. »Alles in allem geht es bei uns sehr viel verschnarchter zu.«
»Lilith«, rügte Rebekka sie pikiert. Sie wandte sich an Tatjana Codrea. »Sie wollte damit sagen, dass wir in Bonesdale das beschauliche Leben vorziehen.«
»Aber das ist doch nichts für junge Menschen, die voller Leben sind!«, entgegnete Tatjana Codrea inbrünstig und zwinkerte Lilith verständnisvoll zu. »Im Norden Russlands lebt ein weiterer Vampirstamm, den es wegen der Dunkelheit und Kälte dorthin gezogen hat. Ich habe gehört, dass es bei ihnen ebenfalls sehr viel ruhiger zugeht und die einzige Freizeitbeschäftigung darin besteht, fallende Schneeflocken zu zählen. Um nichts in der Welt würde ich dorthin auswandern!«
Baronin Afina Theodosiu, die neben Razvan saß, stocherte in ihrem Essen, das sie in winzige Stücke zerteilt hatte. Anscheinend war sie auf der Suche nach dem Bissen, der am wenigsten Kalorien versprach. »Wie schade, André, dass euer Vater heute Abend nicht anwesend ist«, flötete sie. »Ich hoffe, er ist nicht ernsthaft erkrankt?«
Lilith hätte erwartet, dass André peinlich berührt auf seinen Teller blickte oder sich in ein verschämtes Räuspern flüchtete, doch er hielt dem Blick der Baronin ungerührt stand. »Keine Sorge, Afina, es ist nur ein leichtes Unwohlsein. Wenn es nach ihm gegangen wäre, würde er sicherlich hier an meiner Stelle
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