Lilith Parker, und das Blutstein-Amulett (German Edition)
Visionen immer nur gezeichnet«, entgegnete Marius. »Elodia meint, es sei leichter, sie zu malen, als in Worte zu fassen. Wenn dich ihre Vision interessiert, kann ich dir ihr Bild gerne zukommen lassen, sobald es fertig ist. Sie zeichnet für ihr Alter ausgesprochen gut.«
Lilith schluckte schwer und nickte mechanisch. »Gerne, das wäre sehr nett.«
»Aber Elodia ist nicht einmal annähernd dreizehn Jahre alt«, schaltete sich Matt ein, der neben Lilith getreten war. »Wie kann sie schon jetzt so starke Fähigkeiten besitzen?«
»Ihre Urgroßmutter war eine Moiraja«, erklärte Marius. »Sie zählen zu den Schicksalsfeen und tragen kaum menschliche Gene in sich, weswegen sie der Altersgrenze der Nocturi nicht unterworfen sind. Entweder sie haben die Kräfte schon bei der Geburt oder überhaupt nicht.«
Nikolai nippte an seinem Rotwein und nickte zustimmend, während das Streichquartett im Hintergrund Bartóks rumänische Volkstänze anstimmte. »Darüber hat Baron Nephelius übrigens eine wissenschaftliche Abhandlung geschrieben, auf der seine Forderung nach reinblütigen Ehebündnissen beruhte. Im Rahmen meiner Studien der vampirischen Abstammungsforschung habe ich mich auch mit dieser These befasst. Der Baron vertrat die Meinung, dass die Nocturi ehemals von den reinmagischen Wesen wie beispielsweise den Moiraja abstammten. Schon damals Arten von verschwindend geringer Population, die mittlerweile gänzlich ausgestorben sind. Laut dem Baron wurden die Fähigkeiten der Nocturi im Laufe der Jahrhunderte immer schwächer, weil sie sich mit Socor oder sogar Menschen verbunden haben. Eine Verwässerung unseres hochwertigen Blutes mit dem Dreck der Unwürdigen muss vermieden werden, um die Zukunft der Nocturi zu sichern«, verkündete er, und als er Matts empörten Blick auffing, hob er sofort entschuldigend die Hand. »Pardon, das war nur ein Zitat aus seinem Werk. Auch wenn ich dem Baron aus wissenschaftlicher Sicht grundsätzlich recht gebe, lag es mir fern, Anwesende zu beleidigen.«
Missmutig presste Lilith ihre Lippen aufeinander. Nicht einmal hier, weit entfernt von Bonesdale und tief unter der Erde, war man vor den Rassentheorien ihres Großvaters sicher. Hoffentlich erwartete Nikolai nicht von ihr, dass sie sich dazu äußerte, denn Lilith fand die Einstellung ihres Großvaters nicht nur verabscheuungswürdig, sondern auch heuchlerisch. Die Existenz Rebekkas zeugte schließlich davon, wie wenig sich der Baron an seine eigenen Regeln gehalten hatte.
Mittlerweile war Elodia wieder zu sich gekommen und rieb sich müde über die Augen. Wie ihr Vater vorhergesagt hatte, schien sie die Vision problemlos verkraftet zu haben, und zu Liliths grenzenloser Beruhigung starrte das kleine Mädchen sie auch nicht angsterfüllt an. Sie wagte zu hoffen, dass Elodia doch nicht das gesehen hatte, was sie insgeheim befürchtete …
»Geht es dir gut, mein Schatz?«, fragte Marius und als Antwort kuschelte Elodia sich in seinen Arm.
»Ich denke, es wäre besser, wenn ich sie nach Hause bringe«, meinte er mit entschuldigender Miene. »Ich hoffe, ihr nehmt es uns nicht übel, wenn wir den Empfang schon wieder verlassen?«
»Natürlich nicht«, versicherte Nikolai ihm. »Das Wohl deiner Tochter steht an erster Stelle! So entgeht ihr Glücklichen wenigstens Igors Abendessen. Apropos: Lilith, Matt, wir sollten uns so langsam zu Tisch begeben!«
Sie verabschiedeten sich voneinander, Strychnin schenkte Elodia für den Heimweg ein weiteres Ei, und gerade als Nikolai sie zum angrenzenden Speisezimmer führen wollte, stellte sich ihnen ein bulliger Mann mit kurz geschorenen rotblonden Haaren in den Weg. Er trug eine graue Uniform und an seinem Gürtel hatte er mehrere, gefährlich aussehende Waffen befestigt.
Irritiert fragte sich Lilith, wozu dieser Mann mitten in Chavaleen einen Elektroschocker und eine Peitsche gebrauchen konnte.
»Gibt es bei euch irgendwelche Probleme?«, bellte er mit mürrischer Stimme. Seine Augenbrauen und Wimpern waren von einem so farblosen Blond, dass sie fast nicht vorhanden schienen. »Igor erwartet uns zum Essen, er hat schon zwei Mal zu Tisch gebeten.«
Tatsächlich hatten sich die restlichen Gäste bereits im Speisezimmer eingefunden. André und Rebekka waren wohl zu beschäftigt gewesen, um an Matt, Lilith und Nikolai zu denken …
»Wir wollten euch nicht warten lassen, Razvan!« Zwar hatte Lilith Nikolai erst vor wenigen Stunden kennengelernt, doch sie glaubte, in seiner Miene eine
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