Lilith Parker, und das Blutstein-Amulett (German Edition)
anderen Tischseite auf, wo Baronin Afina Theodosiu und Graf Razvan Vondru die Köpfe zusammengesteckt hatten.
»Wie bitte?«, fragte Lilith laut, obwohl es wahrscheinlich klüger gewesen wäre, sich nicht einzumischen und die Bemerkung einfach zu ignorieren. »Haben Sie gerade etwas von ›verdammte Amulette‹ gesagt?«
Augenblicklich wurde es still am Tisch und die Baronin fuhr erschrocken herum. Zu Liliths Erstaunen reckte sie dann jedoch ihr Kinn und gestand frei heraus: »Ja, du hast richtig gehört. Ich halte die große Übereinkunft für nicht mehr zeitgemäß und das ist die Meinung vieler hier.«
»Nicht mehr zeitgemäß?«, wiederholte Rebekka verständnislos. Genau wie Lilith schien sie keine Ahnung zu haben, was Afina damit meinte.
»Wir sollten uns nicht vor den Sterblichen verstecken müssen wie verängstigte Ratten«, erklärte Razvan säuerlich. »Vor Jahrhunderten sind sie auf uns aufmerksam geworden, weil die Hexen diesem undankbaren Menschengesocks helfen und ihre Krankheiten heilen wollten, deswegen haben sie sich ihnen offenbart. Damals konnten die Menschen uns verfolgen und viele von uns töten, weil wir getrennt voneinander lebten und es schwer war, Kontakt zueinander aufzunehmen. Doch heute sehen die Dinge anders aus: Heute wären wir auf einen Kampf vorbereitet, wir hätten die Mittel, zu einem Gegenschlag auszuholen. Wir sind vernetzt, können mit jedem Mitglied aus der Welt der Untoten Kontakt aufnehmen, egal wie abgelegen der Ort auch sein mag. Wenn wir alle mobilisieren, sind wir den Menschen mit unseren Fähigkeiten überlegen!«
Von dieser flammenden Rede völlig überrumpelt, starrte Lilith ihn entgeistert an. »Aber wozu denn?«
»Um nicht mehr in dauernder Angst vor Entdeckung leben zu müssen«, rief die Baronin. »Um endlich frei zu sein! Wenn wir uns der Welt offenbaren und nicht mehr an die Geheimhaltung gebunden sind, können wir uns gegen die Vanator verteidigen, ihnen das zurückzahlen, was sie uns angetan haben.«
Nach der heutigen Verfolgungsjagd und nachdem Lilith den Schmerz in Elodias Augen gesehen hatte, konnte ein Teil von ihr sogar den Zorn der Baronin nachvollziehen. Dieser Gefahr jeden Tag aufs Neue ausgeliefert zu sein und diejenigen, die man liebte, durch die Hand der Vanator zu verlieren, zermürbte mit der Zeit wahrscheinlich selbst den friedliebendsten Charakter.
»Euch geht es doch wahrscheinlich nicht anders«, meinte Razvan an Lilith und Rebekka gewandt. »Meine Güte, ihr seid Nocturi, eure Macht verstärkt sich in der Nacht, doch ihr habt euch an den Rhythmus der Menschen angepasst und schlaft, wenn sie schlafen. Das widerspricht eurer Natur! Der Pakt der Vier verdammt euch zu einem Leben, das eure Kräfte reduziert, nur weil ihr Angst vor den schwächlichen Menschen habt. Deswegen ist es meine tiefste Überzeugung, dass wir uns erheben und gegen die Vanator gnadenlos vorgehen sollten, damit wir endlich …«
»Schluss jetzt!«, fiel André ihm unwillig ins Wort. »Ich dulde nicht, dass wir den heutigen Abend mit dieser müßigen Diskussion verschwenden. Lilith und Rebekka sind eure Argumente sicher hinlänglich bekannt, deswegen müssen wir das nicht weiter erörtern.«
»In Bonesdale hat es offen gestanden noch nie eine Diskussion darüber gegeben«, räumte Lilith ein. »Bei uns zweifelt niemand daran, dass ein Leben unentdeckt unter den Menschen die beste Lösung wäre.«
Ein überraschtes Raunen ging durch den Raum, selbst die freundliche Tatjana Codrea blinzelte Lilith mit geöffnetem Mund an. Anscheinend war die Einstellung der Nocturi für alle Anwesenden kaum nachvollziehbar und erst jetzt verstand Lilith die wahre Bedeutung von Andrés Äußerung, als er bei ihrem Telefongespräch meinte, die Stimmung in Chavaleen sei angespannt und es würde sich beruhigend auf das Volk auswirken, wenn ein weiterer Amulettträger anwesend wäre.
Lilith bekam so langsam den Eindruck, dass die Alexandrescus nur noch mit Mühe ihre Stellung halten und die unzufriedenen Vampire jederzeit zu einer Revolution aufrufen konnten.
»Umso mehr bestehe ich darauf, dass wir uns nun einem anderen Gesprächsthema zuwenden, denn einige scheinen vergessen zu haben, dass der Beschluss meines Vaters nicht zur Debatte steht: Wir halten uns an den Pakt der Vier, komme, was da …«
Ein ohrenbetäubendes Donnern lief durch den Palast, Gläser fielen um, der Kronleuchter über ihnen schwankte und die meisten Gäste klammerten sich Halt suchend an der Tischkante fest. An
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