Lilith Parker
verlieÃen sie den Saal, so rasch und geräuschlos, wie sie gekommen waren.
Einen Augenblick lang herrschte bedrücktes Schweigen, nur das Pfeifen des Windes war zu hören, dann brach lautstarkes Stimmengewirr los. Gleichzeitig sah Lilith aus den Augenwinkeln, wie jemand auf sie zueilte und sie im nächsten Moment so fest an sich drückte, dass sie kaum noch Luft bekam.
»Mildred?«, nuschelte sie in den Pullover ihrer Tante.
»Es tut mir so leid, ich wollte dich nicht im Stich lassen, aber Arthur meinte, es wäre nicht gut, wenn ich mich vor dich stelle wie eine überfürsorgliche Glucke. Meine Güte, ich dachte, ich sterbe, als du diese vermaledeite Schlange angefasst hast. Wenigstens war es keine Giftschlange, ansonsten hätte ich sie an Scropes fetten Hals geschmissen, das kann ich dir versprechen. Und dann noch dieser grauenvolle Johnson â¦Â« Mildred lockerte ihren Griff und schob Lilith eine Armeslänge von sich. »Geht es dir auch wirklich gut?«
»Na ja, ich hatte schon bessere Freitagabende«, versuchte sie zu witzeln. »Was wolltest du mir vorhin eigentlich sagen, als du den Kopf geschüttelt hast?«
»Ich wollte, dass du gar keine Antwort gibst. SchlieÃlich haben wir mit Scrope ausgemacht, dass er die Führung innehat, solange du dich nicht mit unseren Gesetzen auskennst, und deswegen wäre es allein seine Sache gewesen,Johnson in seine Schranken zu weisen. Ich wusste, dass du nur verlieren kannst, wenn du dich zu diesem Vorfall äuÃerst.« Sie ballte wütend die Fäuste. »Und Scrope wusste es auch, deswegen hat er Johnson die Bitte nur allzu gern gewährt.«
Ein Hämmern schallte durch den Saal und lieà die Gespräche nach und nach verstummen. Scrope stand wieder hinter dem Rednerpult und blickte mit ernster Miene vom Podium herab.
»Bürger von Bonesdale! Wir sollten unsere Versammlung hiermit offiziell fortsetzen, um über dieses beunruhigende Ereignis zu sprechen.«
Alle Anwesenden nickten zustimmend, niemand wollte den provozierenden Auftritt Johnsons einfach auf sich beruhen lassen.
Lilith war neugierig, was für MaÃnahmen Scrope nun vorschlagen würde. Ob die Nocturi auch so etwas wie eine Polizei besaÃen? Oder steckten sie den Vampir, sofern er sich den Gesetzen nicht beugte, kurzerhand in einen dunklen Kerker?
»Der Vorfall mit Johnson hat uns eines klargemacht«, fuhr Scrope mit zitterndem Doppelkinn fort. »Nämlich, dass es so nicht weitergehen kann. Wenn wir nicht sofort etwas unternehmen, bedeutet das, ein unberechenbares Risiko einzugehen. Es ist für die Nocturi ein untragbarer Zustand â¦Â« Er machte eine dramatische Pause, sein Kopf fuhr ruckartig herum und mit seinem fetten Zeigefinger deutete er auf Lilith. »⦠dass dieses Mädchen aus der Menschenwelt Anspruch auf den Nephelius-Thron erhebt!«
Mildred zuckte so sehr zusammen, dass sie an Liliths Schulter stieÃ. »Was?«, stammelte sie fassungslos.
»Lilith Parker denkt wie ein Mensch und sie handelt wie ein Mensch. Kaum dass sie von der Welt der Untoten erfahren hat, hat sie sofort gegen eine unserer wichtigsten Grundregeln verstoÃen und einen Menschen in unser Geheimnis eingeweiht. Was würde sie wohl unternehmen, wenn die Vânâtor uns hier in Bonesdale ausfindig machen? Wir haben selbst gehört, dass die Jäger in das Reich von Vadim Alexandréscu eingedrungen sind, und so ungern wir auch daran denken mögen, liebe Mitbürger, dies kann auch uns passieren. Doch wahrscheinlich würde unsere zukünftige Führerin und Menschenfreundin Lilith Parker sie mit offenen Armen empfangen, anstatt uns zu verteidigen und mit aller Macht gegen sie vorzugehen!«
Vânâtor ⦠Scrope hatte diesen Namen während der Versammlung schon einmal erwähnt. Lilith versuchte verzweifelt, sich zu erinnern, in welchem Zusammenhang dieser Begriff stand, doch ihr Gehirn war wie leer gefegt.
Mildred konnte sich nicht mehr länger zurückhalten: »Aber das Bernstein-Amulett hat â¦Â«
»Danke, dass du dieses Thema ansprichst«, fiel Scrope ihr lächelnd ins Wort. »Lilith, wärst du bitte so nett und zeigst uns das Bernstein-Amulett, sodass wir alle es sehen können?«
Lilith wechselte einen besorgten Blick mit ihrer Tante, dann griff sie schweren Herzens nach dem Amulett um ihren Hals und hielt es an der Kette in die Höhe. Ein
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