Lilith Parker
ihrer Stimme lag, war unüberhörbar.
»Aber meine Damen«, schaltete sich Scrope ein. »Immer mit der Ruhe. Rebekka hat doch nur ihre Hilfe angeboten, du solltest ihr dafür lieber dankbar sein, Lilith!«
Rebekka klimperte mit ihren Wimpern und warf ihm ein strahlendes Lächeln zu. »Vielen Dank, Mister Scrope!«
Lilith verschränkte die Arme vor der Brust und biss die Zähne zusammen. Sie spürte, wie sich die Wut in ihrem Inneren zu einem glühend heiÃen Klumpen zusammenzog.
»Wer von euch beiden ist denn nun mutig genug, die Hydra zu streicheln?«
»Ich«, entfuhr es Lilith reflexartig. »Ich werde es tun.«
Als ihr bewusst wurde, was sie soeben gesagt hatte, hätte sie sich am liebsten die Hand vor den Mund geschlagen. Was war nur in sie gefahren?
»Ach, jetzt hast du auf einmal keine Angst mehr?« Rebekka zog eine Augenbraue hoch, zuckte dann aber mit den Schultern.
»Ich lasse dir gerne den Vortritt«, flüsterte sie Lilith zu. »Mein Triumph wird umso gröÃer, nachdem du im letzten Moment gekniffen hast.«
Lilith trat an die Kiste, hob zaghaft die Hand und atmete tief durch. Vielleicht sollte sie einfach die Augen zusammenkneifen?
»Keine hektischen Bewegungen«, raunte Peter ihr zu. »Sie ist heute zwar sehr nervös, aber sobald du nahe genug bist, damit sie deinen Geruch aufnehmen kann, wird sie merken, dass du kein Beutetier bist. Sie wird nur dann zubeiÃen, wenn sie sich von dir angegriffen fühlt.«
»Okay.«
»Sie ist eigentlich ein ruhiges, ausgeglichenes Tier, aber sie hat eine anstrengende Reise hinter sich und war zu lange in dieser Kiste eingesperrt. Die vielen Leute, die Kälte und der Tumult machen ihr Angst.«
Peters Worte gaben Lilith zu denken. Sie legte den Kopf schief und blickte in Amaros Augen. Vielleicht hatte sie ihr Urteil über die Schlange zu voreilig gefällt ⦠Im Grunde war das Verhalten der Schlange nur allzu verständlich. Würde es ihr an Amaros Stelle denn anders ergehen? Die Hydra befand sich plötzlich in einer vollkommen fremden Welt,und damit klarzukommen, war nicht gerade einfach â das wusste Lilith aus eigener Erfahrung.
Amaros Köpfe tanzten unruhig auf und ab. Ganz langsam, genau wie Peter es ihr geraten hatte, näherten sich Liliths Fingerspitzen einem der Hälse. Nur noch wenige Zentimeter, dann würde sie die glänzenden Schuppen berühren! Liliths Herzschlag beschleunigte sich zu einem hämmernden Staccato. Amaro riss die Mäuler auf und stieà ein warnendes Fauchen aus, doch dieses Mal hatte Lilith sich genug unter Kontrolle, um nicht zurückzuweichen.
»Ganz ruhig, Amaro! Ich weià genau, wie du dich gerade fühlst«, flüsterte sie. »Ich streichle dich nur ganz kurz, dann darfst du zurück in die Kiste und wir lassen dich wieder in Frieden.«
Tatsächlich beruhigte sich die Schlange etwas. Wachsam hielt sie ihre Köpfe aufgerichtet und Lilith strich vorsichtig über Amaros Körper. Erstaunt bemerkte sie, dass sich die Schlangenhaut weich und warm anfühlte. »Willkommen in Bonesdale, Amaro.«
»Gut gemacht!« Peter nickte Lilith zu und begann, die Schlange zurück in die Kiste zu ziehen. Seine Erleichterung war ihm deutlich anzumerken. »Anscheinend hast du ein Händchen für Schlangen.«
Lilith fiel ein Stein vom Herzen, sie hatte Scropes Prüfung bestanden! Ob er seine Enttäuschung wohl vor ihr verbergen konnte?
Sie drehte sich zu ihm um und stutzte überrascht. Scrope hatte ihr, genau wie Rebekka, den Rücken zugewandt. Niemand schien sich mehr für sie und die Hydra zu interessieren,stattdessen starrten alle zur Tür. Lilith war durch Amaro und ihr Gespräch mit Peter so abgelenkt gewesen, dass ihr erst jetzt die angespannte Stille im Saal auffiel. Was war denn nun schon wieder geschehen?
Sie trat einige Schritte beiseite, um an Scrope vorbeizusehen. Die Tür stand sperrangelweit offen, ein eisiger Wind fegte durch den Raum und brachte die letzten Herbstblätter mit sich.
Ein Mann mit langem ungepflegtem Haar, das von weiÃen Strähnen durchsetzt war, schlenderte den Gang entlang. Durch seine schlanke Gestalt und die eingefallenen Wangen dachte Lilith im ersten Moment, er sei abgemagert und schwach, doch an seinem leichtfüÃigen Gang erkannte sie, dass er den athletischen Körper eines Raubtieres besaÃ, das jederzeit bereit war,
Weitere Kostenlose Bücher