Lilith Parker
Bäume erreicht hatte, zwischen denen er verschwunden war, hielt sie erstaunt inne. Sie stand am Ufer eines kleinen zugefrorenen Weihers.
»Na, wie findest du es?« Er strahlte sie an, seine Wangen waren gerötet und seine braunen Locken wippten auf und ab. »Hierher kommt nie jemand, das ist mein geheimer Platz.«
Der FuÃweg, der zur Burg führte und den Lilith schon mit Emma und Matt benutzt hatte, war nur wenige Meter entfernt, doch da der Weiher ringsum mit Büschen, verdorrtem Schilf und halbhohen Bäumen bewachsen war, lag er so versteckt, dass er von dort nicht einzusehen war.
»Das letzte Mal war ich gestern mit meinem Vater hier«, sagte er und blickte traurig über die Eisfläche, die kaum von Schnee bedeckt war.
Lilith warf ihm einen prüfenden Seitenblick zu. »Wie heiÃt du eigentlich?«
»Vincent.«
Etwas in Lilith schlug Alarm. Plötzlich war sie sich sicher, dass sie Vincent weder in der Devilstreet noch am Abend der Dorfversammlung kennengelernt hatte. Doch wann war sie ihm dann schon einmal begegnet? Sosehr sie sich auch anstrengte, sie konnte sich beim besten Willen nicht erinnern.
»Mein Vater hat mir erzählt, dass die Alten in Bonesdale den Weiher auch den Teufelstopf nennen. Ein gruslig-schöner Name, oder?«
Lilith sah auf die dornigen Büsche und die wintertoten Bäume am Ufer, die ihre Ãste wie Skelettfinger suchend nach einem Opfer ausstreckten.
Eine Böe fuhr über das Eis, fegte den Schnee wie Puderzuckernebel vor sich her und Lilith erhaschte einen Blickauf das Wasser, das sich wie ein schwarzer Abgrund gegen das Eis drückte. Unwillkürlich fragte sie sich, was in dieser Dunkelheit verborgen lag. Vielleicht schwamm dort unten etwas durch die Tiefe und wartete auf die Gelegenheit, die dünne Eisschicht zu durchbrechen und nach einem Opfer zu greifen? Teufelstopf war tatsächlich ein treffender Name für diesen Weiher. Dieser Ort hatte etwas Unheimliches an sich.
»Aber das Beste kommt erst noch«, versprach Vincent und setzte einen Fuà auf das Eis.
»Mach das nicht!« Lilith deutete auf ein Schild. »Hier wird ausdrücklich davor gewarnt, das Eis des Weihers zu betreten.
Er winkte ab. »Mein Vater hat es mir erlaubt. Er meinte, so ein Leichtgewicht wie mich trägt das Eis auf alle Fälle.«
»Hier steht aber, dass der Weiher von einer unterirdischen warmen Quelle gespeist wird und die Eisschicht selbst bei Minusgraden nicht stabil und belastbar genug ist.«
»Stimmt doch gar nicht, schau mal!« Er hüpfte völlig angstfrei auf dem Eis herum. »Bombenfest. Kommst du auch?«
»Nein danke.« Lilith verschränkte fröstelnd die Arme vor der Brust. »Mir wäre wirklich wohler, wenn du wieder runterkommst. Falls du einbrichst, muss ich dir hinterherspringen und ich bin eine miserable Schwimmerin.«
Doch Vincent hörte ihr überhaupt nicht zu. Mit vor Begeisterung geröteten Wangen sauste er wie ein Schlittschuhläufer über die Eisfläche und wagte sich dabei immer weiter zur Mitte des Weihers vor.
Lilith hörte eine Stimme durch den Wald hallen, kaum lauter als das Knacken der vom Schnee beschwerten Ãste.
»Lilith!«
Sie sah sich um. Hatte gerade jemand ihren Namen gerufen? Doch sie konnte weit und breit niemanden entdecken. Als sie sich wieder umwandte, erfasste sie erneut ein unangenehmes Schwindelgefühl. Lilith lehnte sich an einen Baum und massierte ihre Schläfen, doch die Kopfschmerzen schwollen immer weiter an. Was war nur mit ihr los? Sie konnte sich nicht erinnern, jemals so plötzlich und mit solcher Heftigkeit krank geworden zu sein. Seit Rebekka sie mit diesem schrecklichen Parfüm besprüht hatte, ging es ihr von Minute zu Minute schlechter â¦
»Vincent, kommst du bitte wieder zurück?«, bat sie ihn in mattem Tonfall. »Mir geht es überhaupt nicht gut.«
»Nur noch eine Runde, okay?« Vincent nahm Anlauf, rutschte mit ausgestreckten Armen über das Eis, landete unsanft auf dem Hintern und lachte dabei so glücklich und unbeschwert, dass er damit sogar ein Lächeln in Liliths angespanntes Gesicht zaubern konnte.
»Lilith? Bist du hier irgendwo?«
Es war eine Frau, die nach ihr rief, doch die Stimme kam Lilith nicht im Geringsten bekannt vor. Sie richtete sich mühsam auf und suchte mit zusammengekniffenen Augen die Baumreihen ab. »Hallo?«
Doch es war nicht das
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