Lilith - Wunschlos gluecklich
kurz davor, sich irgendetwas zu wünschen. Egal, was. Hauptsache, er würde mal wieder in irgendeiner anderen Form auf sie reagieren als mit Ignoranz.
Sie sah auf die Uhr. Jordan war schon fünf Minuten zu spät dran. Das sah ihm überhaupt nicht ähnlich. Normalerweise war er immer pünktlich. Überpünktlich, um genau zu sein. Eher zu früh als zu spät, das war seine Devise. Solange sie ihn kannte, hatte er sich noch nicht ein einziges Mal verspätet, weder zu Fuß noch mit dem Wagen. Erneut huschte ihr Blick zur Uhr. Schon zehn Minuten. Die Zeiger wanderten unaufhaltsam über das Ziffernblatt. Es wurden zwanzig, dann dreißig Minuten. Langsam wurde sie unruhig.
Luc bemerkte anscheinend ihre Rastlosigkeit. »Alles ok ay ?«
»Du sprichst wieder mit mir?« Sie klang schnippisch. Klar, ihr ging es gerade nicht gut, und dies war genau das Gegenteil von dem, was Luc für sie wollte. Das hatte sie inzwischen begriffen, trotz allem war sie sauer auf ihn. Schließlich hatte er sie fast eine Woche ignoriert. Zumindest, wenn man von seiner stummen und stoischen Anwesenheit einmal absah. Sie antwortete trotzdem und versuchte, ihm ihre Nervosität zu erklären. »Jordan ist zu spät dran. Das ist nicht normal …«
Liliths Herz flatterte und ihr Magen zog sich in einer bösen Vorahnung schmerzlich zusammen. Nach einigen weiteren Minuten hielt sie es nicht mehr aus, schnappte sich ihr Handy und wählte Jordans Nummer.
Es klingelte. Lange, viel zu lange. Sie wollte schon wieder auflegen, als sich eine weibliche Person meldete.
»Ja.«
Lilith erkannte die Stimme von Jordans Mom. »Mrs. Walsh?«
»Lilith? Bist du das?«
Lilith hörte Jordans Mom schluchzen. Sie weinte. Irgendetwas war passiert. »Was ist mit Jordan? Wo ist er?« Ihre Stimme klang panisch und sie konnte nichts dagegen tun.
»Wir sind im Krankenhaus«, begann Mrs. Walsh mit tränenerstickter Stimme.
Lilith schwankte, sie drohte zusammenzusacken, denn urplötzlich spürte sie ihre Glieder nicht mehr. »Krankenhaus?«, würgte sie hervor. Sie griff nach dem Fenstersims, aber der gab ihr keinen Halt und so brach sie mit einem leisen tierähnlichen Laut auf ihren Lippen zusammen.
Luc machte einen Satz über den Esstisch und kniete nun neben ihr. Sein Blick wirkte besorgt. Sicherlich nicht wegen Jordan, aber sie war schon froh, überhaupt eine Regung an ihm wahrzunehmen. Auch wenn der Zeitpunkt gerade nicht ungünstiger hätte sein können.
»Jordan hatte einen Unfall«, fuhr Jordans Mom fort. »Es war ein Lkw … Er … Es geht ihm nicht gut, Lilith …«
Eine Pause entstand. Mrs. Walsh rang um Fassung und suchte wohl nach Worten, die ihr Jordans Lage begreiflich machen sollten. Lilith hingegen konnte keinen klaren Gedanken mehr fassen. Einzig sein Name kreiste angsterfüllt in ihrem Kopf – Jordan …
»Die Ärzte sagen … dass er … O mein Gott, Lilith … er wird die Nacht wahrscheinlich nicht überleben …« Mrs. Walshs Stimme wurde immer undeutlicher.
Lilith entfuhr ein gequälter Schrei und kurz darauf stürmten ihre Eltern in die Küche, um nach ihr zu sehen.
Dad nahm ihr den Hörer ab. »Wer ist da?« Er sprach kurz mit Jordans Mom und zog Lilith auf die Beine. »Wir müssen los. Beeil dich.« Er warf Lilith ihre Jacke zu, schnappte sich seine Autoschlüssel und fuhr den Wagen aus der Garage.
Nicht schon wieder ins Krankenhaus … wieder mitten in der Nacht … nicht schon wieder jemand, der stirbt – mich verlässt. Sie konnte einfach nicht mehr klar denken. Die Hupe riss Lilith aus ihrer Starre und sie stürmte aus dem Haus.
Die gesamte Fahrt zur Klinik betete sie zu Gott. Vor wenigen Monaten hatte sie doch gerade erst ihre Großmutter verloren, das müsste dem da oben doch reichen. Sie sagte dem großen Macker da oben, dass sie ihm Jordan unter keinen Umständen geben wollte, dass er immer noch zu ihr gehöre … Er doch noch viel zu jung war zum Sterben … Aber sie vertraute nicht mehr darauf, dass Gott sie hörte. Viel zu frisch brannte die Erinnerung auf ihrer Seele, dass er auch bei Granny kein Einsehen gehabt hatte. Warum sollte er ihr also jetzt etwas lassen, das sie so sehr liebte?
Die Panik um Jordan schnürte ihr auf vielfältige Weise die Kehle zu. Auf der einen Seite fiel es ihr schwer zu atmen. Immer wieder hatte sie das Gefühl, an ihrer Angst zu ersticken. Andererseits hatte sich schon seit geraumer Zeit ein Würgreflex in ihrer Kehle festgesetzt und sie konnte nur hoffen, dass sie sich nicht in Dads
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