Lilli Steinbeck Bd. 1 - Die feine Nase der Lilli Steinbeck
Sie!«
»Das meinte ich nicht, Pietät ist nicht das Thema. Aber Sie müssen sich doch denken, daß wir von der Polizei zu grübeln beginnen. Etwa darüber, daß sich ein Liebespaar ohne einen störenden Ehemann gleich viel besser fühlt. Vielleicht taucht Herr Stransky ja nie wieder auf.«
»Das würde mir leid tun«, beteuerte Roy. »Wegen dem Kind. Mia liebt ihren Vater. Und auf eine gewisse Weise liebt auch Viola ihren Mann. Sie ist ein Familienmensch. Sex ist eine andere Geschichte, was ja auch Ihnen bekannt sein dürfte.«
Roy hatte sich ein wenig gefangen. Er wollte ehrlich sein. Warum auch nicht? Er hatte absolut nichts zu verbergen. Sah man davon ab, daß in ein paar Metern diagonaler Luftlinie ein Mann stand, der ihm abends zuvor mit Mord gedroht hatte.
»Eine reine Sexgeschichte also«, resümierte Baby Hübner.
»Ja, auf einer guten, freundschaftlichen Basis. Womit gesagt sein soll, daß ich Frau Stransky weder heiraten noch anderswie ihren Mann beerben möchte.«
»Dann wundert mich aber«, sagte Hübner, »daß Sie ihn porträtiert haben.«
»Porträtiert? Ich verstehe kein Wort.«
»Sie sind doch der einzige Restaurator, der hier arbeitet, oder?«
»Einen zweiten wäre dieses Meisterwerk nicht wert.«
Baby Hübner richtete sein Blick wieder auf die dunkle, gesichtsartige Verschmutzung und meinte: »Sie haben ihn gut getroffen. Es ist erstaunlich, wie man allein mittels einer Silhouette eine Person präzise darzustellen vermag. Ich kenne Herrn Stransky ja bloß von Fotos. Aber als ich das hier sah, habe ich ihn sofort erkannt. Keine Frage. Das Kinn, die Nase, die Stirn, obgleich im Grunde unscheinbar, so dennoch typisch.«
Roy war vollkommen perplex. Er sagte: »Sie versuchen mich reinzulegen.«
»Darauf kann ich in Ihrem Fall gerne verzichten, Herr Almgren.«
Jetzt zuckte Roy auch noch zusammen. Dabei durfte es ihn ja kaum überraschen, daß der Hauptkommissar seinen Namen kannte. Allerdings gehörte Roy zu den Leuten, die meinten, ihren Familiennamen hinter sich gelassen zu haben, bloß noch mit einem hübschen, kleinen Vornamen durchs Leben zu marschieren: jedermanns Roy .
Hübner merkte gleich, wie sehr es wirkte, diesen Nachnamen ausgesprochen zu haben. Darum machte er rasch weiter: »Wissen Sie, Almgren, Sie haben das, was man eine Vergangenheit nennt.«
»Ich habe keine Vergangenheit«, erwiderte Roy.
»O doch. In unseren Augen schon.«
»Das war eine Kinderei damals.«
»Sie waren aber kein Kind, als es geschah.«
»Ich war sechzehn.«
»Sie haben diesen Jungen halb totgeprügelt.«
»Er hatte meine Freundin angespuckt.«
»Dumm von ihm«, sagte Hübner im süßlichen Ton einer durchtriebenen Natter. »Das hätte er wahrscheinlich lieber unterlassen, wenn er geahnt hätte, dafür den Rest seines Lebens im Rollstuhl zu sitzen.«
»Hören Sie. Ich kann nicht ändern, was geschehen ist. Und wenn ich jetzt sage, daß es mir leid tut, wird Sie das wohl kaum beeindrucken.«
»Stimmt.«
»Faktum ist, daß ich dennoch ein normaler Mensch geworden bin. Kein Schläger, kein Asozialer, kein Psycho. Sondern Restaurator, wenn Sie erlauben. Ich habe mir nie wieder etwas zuschulden kommen lassen.«
»Ich sagte auch nur, Sie hätten eine Vergangenheit. Wie komme ich da eigentlich drauf? Ach ja, ich bin hier, weil Sie mit der Frau eines Vermißten ins Bett steigen. Eines Mannes, dessen Profil Sie an dieser Stelle aufgemalt haben.«
»Teufel noch mal, ich sagte schon, das ist nicht gemalt. Das ist Dreck, purer Dreck, der sich im Laufe der Jahrzehnte angesammelt hat. Sie brauchen das bloß analysieren zu lassen.«
»Man kann auch mit Dreck malen. Ich denke, das kommt in der bildenden Kunst schon mal vor.«
»Jesus! Jetzt auch das noch.«
»Keine Angst, ich will nicht über moderne Malerei schimpfen, Herr Almgren, wirklich nicht. Aber ich lasse mich nicht von Ihnen zum Narren halten. Was ich da sehe, ist ganz eindeutig ein Gesicht. Und die Ähnlichkeit dieses Gesichts mit dem des Herrn Stransky ist vor allem darum so frappant, weil Sie es sind, der mit seiner Frau schläft, und Sie es sind, der an diesem Bild herumwerkt.«
»Ja, das ist blöd«, gestand Roy, »aber ich kann Ihnen trotzdem nicht damit dienen, Georg Stransky entführt zu haben.«
»Sprach ich von Entführung?«
»Ich habe ihn auch nicht verschwinden lassen.«
»Na, vielleicht hat Frau Stransky das selbst erledigt. Sie ist ziemlich clever, scheint mir. Es wäre aber trotzdem extrem unklug, sie zu decken. Wenn Sie das
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